Entwaffnet
Es regnet, es regnet schon die ganze Zeit. Mein Herz sehnt sich nach Sonne, nach Wärme und Hoffnung. Ich bleibe am Höhleneingang stehen und überlege, ob ich hineingehen soll. Die Wärme die mir aus der Höhle entgegen kommt tut mir gut und so gehe ich hinein.
Der Kummervogel sitzt auf seinem gewohnten Platz, aber heute hat er seinen Kopf unter die Flügel gesteckt, er scheint zu schlafen.
So bewege ich mich also ganz leise und vorsichtig, denn ich möchte seinen Schlaf nicht stören. Wenn ich doch nur schlafen könnte, die Gedanken zur Ruhe schicken könnte. Ich setze mich auf meinen gewohnten Platz und schaue mir den Vogel an. Wie wunderschön er doch ist. Sein Federkleid hat einen wunderschönen Glanz, so dass alle Farben ganz prächtig aussehen.
Ich würde ihn gerne streicheln, ganz vorsichtig über seinen schön geformten Kopf, aber ich würde ihn dann aufwecken, das will ich nicht.
„Ob er wohl heute Nacht auch einen Rat für mich hat?“ überlege ich und ich versuche ruhig und entspannt zu sein. Wenn doch nur diese Angst nicht immer wäre, diese schreckliche Angst, die versucht meine Gedanken zu beherrschen. Ich schiebe sie fort, viele Male am Tag, aber sie kehrt immer wieder zurück, am schlimmsten in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann. Ich merke, wie mir Tränen in die Augen steigen. Nein, nein!! Ich will nicht schon wieder weinen, schnell wische ich mir mit den Händen über die Augen.
„Warum weinst du?“ höre ich die Stimme von dem Vogel. Er ist wohl aufgewacht und schaut mich an. „Ach ich weine ja gar nicht mehr“, antworte ich, „ich will einfach nicht mehr weinen“. Ich lächle im freundlich zu, „ich hoffe, ich habe dich nicht aufgeweckt, mit meiner Anwesenheit“, sage ich leise. „Ich habe nicht geschlafen“, sagt er, „ich habe nachgedacht“. Er kommt wieder auf meine Schulter geflogen, damit wir uns besser unterhalten können.
„Erzähle mir was dich bedrückt“, spricht er weiter, „es wird dir besser gehen, wenn du dein Herz frei machst und redest. Du weißt, ich werde dir immer zuhören“, sagt er freundlich und fliegt wieder auf meinen Schoß.
„Alle Waffen hat man mir fortgenommen, um gegen meinen Feind zu kämpfen“, sage ich unglücklich, „weil diese Waffen auch mich verletzen. Sie würden mich so schwach machen, das ich bald nicht mehr kämpfen kann“. Der Vogel legt seinen Kopf zur Seite, „und jetzt hast du Angst, dass du ohne diese Waffen zu schwach bist, habe ich recht?“ fragt er.
„Du wirst nur schwach durch deine Angst, sie ist es, die dich lähmt, die dir die Kraft nimmt zu kämpfen. Und diese Angst wird dein Feind spüren und triumphieren. Die Angst ist jetzt dein größter Feind, glaube mir“.
Ich schlage meine Augen nieder, weil ich weiß, das der Vogel recht hat. „Aber was soll ich denn tun gegen die Angst?“ frage ich traurig, „meinst du, dass ich sie haben will, diese Angst?“. Der Vogel legt liebevoll seinen Kopf an mich, „du musst deinen Feind mit den gleichen Waffen bekämpfen, wie er sie benutzt. Sei unberechenbar, damit er unsicher wird und Fehler macht, lass ihn denken, das er dir gleichgültig ist. Dann wird er aus seinem Versteck heraus kommen, sich vor dir aufbauen, damit du dich wieder fürchtest. Aber dann, dann wirst du ihn sehen können, Auge in Auge. Und wenn du es dann schaffen wirst, nicht den Blick zu senken, sondern auf ihn angstlos zugehst, dann wird er wissen, dass er verloren hat, ein für alle Mal. Und besiegt wird er das Feld verlassen, glaube daran, ganz fest“.
Der Vogel schaut mich ganz ernst an, seine Augen sind gerade auf mich gerichtet, “man kann einen Kampf nur gewinnen, wenn man keine Angst hat, glaube mir. Du hast soviel Liebe in dir und Liebe macht soviel Mut, du brauchst keine anderen Waffen um zu siegen. Du musst nur deine Unsicherheit ablegen, dann wirst du stark genug sein, diesen elenden Feind zu überwinden“. In seinen Augen entsteht ein Lächeln, sie sehen wie immer sehr liebevoll auf mich. „Jetzt sehn deine Augen schon wieder etwas heller in die Welt“, sagt er, „es bedeutet sehr viel für mich, wenn ich dir helfen kann“, sagt er.
„Du hast recht“, sage ich leise und ich kann auch wieder ein wenig lächeln, „es hilft mir wirklich, mit dir zu reden, „ich bin froh, dass ich dich hier in dieser Höhle entdeckt habe“. Jetzt kann ich ihm noch einmal liebevoll über sein wunderschönes Gefieder streicheln, bevor ich zurück gehe. „Es wir Zeit für mich zu gehen“, sage ich, „der neue Tag steht schon wieder bereit. Zeit ein wenig zu schlafen und Zeit zum kämpfen“.
Als ich die Höhle verlasse, spüre ich, dass mir der Vogel nachsieht und mir viel Glück wünscht für meinen Kampf.