Hallo mein Apfelbaum
Schön, dich wieder zusehen und wie groß du geworden bist. Stolz kannst du sein, auf deine wunderschönen kräftigen Äste und Zweige. Es macht auch gar nichts, dass du im Augenblick keine Blätter hast, das kommt einfach von der Jahreszeit.
Wenn ich deinen kräftigen Ast umschlinge, meine Stirn an deine Rinde lege und die Augen schließe, kann ich den Duft deiner herrlichen Blüten riechen. Ich sehe sie vor mir, wunderschön weiß, mit den zarten rosa Rändern. Prachtvoll siehst du aus, mit deinem Blütenkleid. Und später wachsen dann ganz langsam deine Früchte heran.
Ich erinnere mich noch als Kind, stand ich immer schon ganz ungeduldig zu deinen Füssen und konnte es kaum erwarten, bis deine Früchte zum Essen bereit waren. Manchmal habe ich auch nicht lange genug gewartet, das gab dann ziemliches Bauchweh.
Weißt du, was ich immer sehr geliebt habe? Wenn deine Äpfel reif waren, hat Mom mir ein Brot mit Butter gemacht und ich habe einen deiner Äpfel dazu gegessen. Hmmm … das war eine Köstlichkeit, diesen herrlichen Geschmack, habe ich heute noch in meiner Erinnerung.
Kannst du dich noch erinnern, als ich einmal viel zu hoch in dich hinein geklettert bin? Meine kleinen Beine hatten sich so angestrengt, von Ast zu Ast zu klettern, so hoch hinaus, wie es nur ging. Strahlend saß ich dann ganz weit oben und kam mir wie ein Sieger vor. Deine Blätter rauschten freundlich, so als ob du auch stolz auf mich wärest. Lange blieb ich dort sitzen, kam mir vor wie der Welt entrückt, die mir so oft Kummer bereitete.
Als ich dann später an den Abstieg dachte, bemerkte ich, dass meine Beine nicht ausreichten, um den nächsten Ast zu erreichen. Jetzt bekam ich es aber doch mit der Angst und versuchte mich rückwärts vom Ast herab zu lassen. Das ging auch nicht, der Abstand war viel zu groß zum nächsten Ast und so saß ich ziemlich verloren da.
Angstvoll begann ich nach meiner Mom zu rufen, mit jedem Ruf wurde meine Stimme lauter und ängstlicher. Endlich kam sie aus dem Haus gelaufen, “was machst du denn schon wieder für Sachen? Du bist doch kein Junge, meine Güte!“ sagte sie und ihre Stimme klang ziemlich ärgerlich. Mit einer Trittleiter kam sie zurück und befreite mich aus meiner misslichen Lage.
Vor ihr schämte ich mich ein wenig, weil ich ihr so einen Schreck eingejagt hatte. Aber vor dir schämte ich mich nicht, du warst ja mein Freund, der Freund meiner Kindertage und mein geliebter Platz zum Träumen.
So wie heute, da sitze ich in Gedanken mitten in deinen dicken, starken Ästen und fühle mich der Welt entrückt. die mir so oft Kummer bereitet.