Der Kobold der Weihnachten stehlen wollte
Das große alte Haus mit den riesigen Fenstern lag noch halb im Morgennebel. Aus einem der Fenster schaute ein kleines Mädchen heraus. Sie kniete auf einem alten großen Stuhl und schaute sehnsüchtig auf die Lichter der Straße , wo langsam das Leben der Stadt erwachte. Sie drückte sich fast ihre kleine Nase an der Scheibe platt, und ihr Atem ließ die Scheibe rundherum beschlagen. Mariechen, so hieß die Kleine, war schon ziemlich früh erwacht. Gleich musste sie in die Schule, aber jetzt hatte sie noch ein wenig Zeit zum Träumen. Hier, in dem Waisenhaus, wo sie lebte, war oft nicht viel Zeit für Kinderträume. Der Alltag war laut und voller Lärm auf den langen Fluren. "Nächste Woche ist Weihnachten", träumte Mariechen, "ob ich wohl in diesem Jahr von Santa Claus ein Geschenk bekommen werde?", fragte sich das kleine Mädchen.
Auch ein anderer fragte sich, wie das Fest wohl werden würde. Roger, ein Junge mit lustigen blauen Augen stapfte durch den Schnee in Richtung Schule und grübelte. Er war wie immer, seit dem tragischen Unfall seiner Eltern vor sechs Jahren, zu dieser Zeit sehr traurig. Er war damals erst zwei Jahre alt, doch fehlte ihm um diese Zeit immer etwas ganz Bestimmtes. Vor allen Dingen war es die Sorge um seinen Großvater, die ihn so traurig machte. Roger fehlte es an nichts, und er hatte es - dank seines Großvaters - immer gut. Aber das alljährliche Verlustgefühl und die Trauer seines Großvaters in dieser Zeit, der den Verlust seiner Tochter bis heute nicht verwunden hatte, machten ihm sehr zu schaffen.
"Hey Roger, schau nicht so wie sieben Tage Regenwetter!", tönte da eine piepsige Stimme. „Ach Nelly, du weißt doch, ich kann nicht anders!", antwortete Roger scheinbar ins nichts. Wer aber genau hinsah , konnte sehen, dass zwischen Rogers Beinen etwas Weißes hin und her huschte. „Ach komm, das wird schon wieder, diese Tage dauern ja nicht ewig, oder? Und nun nimm mich endlich hoch, denn meine Pfoten frieren mir langsam ein!" Roger bückte sich und nahm Nelly, eine zahme weiße Ratte, sachte vom Boden hoch. "Du hast ja recht, aber Großvater macht mir eben Sorgen. Es ist jedes Jahr das Gleiche, und es wird nicht besser", sagte Roger traurig. „Das bekommen wir schon hin wie jedes Jahr, das haben wir doch immer geschafft", piepste Nelly, nicht wirklich überzeugend. Roger sagte nichts weiter, er schaute Nelly nur traurig an, seufzte, und setzte zügig seinen Weg zur Schule fort.
Frau Rinterbell, die Lehrerin der Klasse 2 b, klatschte in ihre Hände. "Kinder, Kinder, setzt euch doch bitte auf eure Plätze, damit wir endlich mit dem Unterricht anfangen können." Frau Rinterbell war eine Lehrerin, wie man sie sich in seinen Träumen nur vorstellen konnte: Eine dicke Hornbrille saß auf ihrer Nase, und ihr langes dunkelbraunes Haar war im Nacken zu einem dicken Knoten verschlungen.
Sie ging für ihre Schüler durchs Feuer; man merkte ihr an, dass sie mit ihrem ganzen Herzen Lehrerin war.
Die Kinder der Klasse 2 b rannten zu ihren Plätzen und schauten erwartungsvoll ihre Lehrerin an. Heute sollte ein Aufsatz geschrieben werden, und neugierig warteten die Kinder darauf, welches Thema Frau Rinterbell wohl gewählt hatte . Das kleine Mariechen saß schweigend in ihrer Bank. Sie hoffte nur, dass nicht irgendetwas über Ereignisse daheim geschrieben werden sollte. Immer, wenn man in der Schule über solche Dinge diskutierte, wäre Mariechen am liebsten unter ihrer Schulbank verschwunden; sie litt sehr darunter, dass sie keine Eltern hatte. Manchmal fiel ihr schüchterner Blick auf ihren Klassenkameraden Roger. Das schien ein netter Junge zu sein, denn ab und zu blinzelte er ihr freundlich lächelnd zu.
Frau Rinterbell hatte große Zettel unter die Kinder verteilt. Das Thema für den Aufsatz lautete: Warum ist Weihnachten für mich wichtig? Mariechen hatte ihren Kopf in die Hände gestützt und überlegte angestrengt, wie sie den Aufsatz wohl beginnen sollte. Gedankenverloren kaute sie an ihrem Bleistift herum, als sie plötzlich merkte, dass irgendetwas sie an ihrem Rock zupfte. Unter ihrem Tisch war ein kleiner hässlicher Zwerg zu sehen, der ihr frech ins Gesicht grinste. "Hihi, Mariechen, du brauchst dir gar keine Gedanken über das Weihnachtsfest zu machen, in diesem Jahr wird es nämlich kein Weihnachten für die Menschen geben." Mariechen riss erschrocken die Augen auf. "Was sagst du da? Was fällt dir denn ein? In ein paar Tagen ist Weihnachten, daran wirst du bestimmt nichts ändern können, du Zwerg, oder wer du auch immer sein magst!"
Der Zwerg schüttelte seinen viel zu großen Kopf, und ein freches Grinsen ging über sein Gesicht. "Ich bin Jack, der Kobold, und dieses Jahr gehört Weihnachten mir, mir ganz alleine." Er klopfte mit seinen Händen auf einen großen Sack, den er bei sich trug . "Ihr werdet es schon erleben, ihr alle. Ihr werdet schon sehen, dass es in diesem Jahr kein Weihnachtsfest geben wird", drohte er mit einem bitterbösen Gesicht und verschwand.
Jack rieb sich die Hände und grinste gemein. "Immer diese Kinder und ihr glückliches Weihnachten! Aber dieses Mal nicht, nein, das werde ich ihnen verderben!", schwor er. Im Grunde war Jack kein schlechter Kerl, nur jedes Mal zu Weihnachten verlor er die Kontrolle über sich. Aber dieses Mal wollte er das einfach nicht mehr zulassen, und er arbeitete an einem gemeinen Plan! Auf die Idee, dass für alle Kinder und Menschen Weihnachten schön ist, kam er gar nicht. Er sah die Dinge nur aus seiner Sicht.
Roger schaute von seinem Aufsatz hoch und sah das erschrockene Gesicht von Mariechen. „Hey Nelly!", flüsterte er seiner Ratte zu. „Husch einmal rüber zu Mariechen und schau, mal nach, warum sie so erschrocken aussieht!".
„Okay", fiepte Nelly kurz und sauste los! Nelly tänzelte zwischen den Stuhl- und Tischbeinen hin und her, bis sie Mariechens Platz erreichte. Und sie lauschte gespannt auf das, was Mariechen gedankenverloren vor sich hin flüsterte: "Oh je, oh je, was mach ich nur? Weihnachten steht schon vor der Türe, und der böse Kobold will es stehlen; das kann ich doch nicht zu lassen."
Nelly hörte verdutzt zu: „Was für ein Kobold? Und - wie sollte er Weihnachten stehlen können?", fragte sich die putzige Ratte und verzog ihr Gesicht. Nelly dachte weiter nach: „Wie bekomme ich heraus, was genau Mariechen meinte?", sie fasste einen Entschluss und versteckte sich kurz entschlossen in Mariechens Schultasche.
Wie jeden Tag nach der Schule machte sich Mariechen auf den Heimweg. Der Weg führte sie an einem Tierheim vorbei. Wie oft hatte sie hier schon gestanden und sich die armen verwaisten Tiere angeschaut? „Arme Geschöpfe", dachte sie. Ihr Blick fiel auf einen kleinen Welpen, der eingeschüchtert in der Ecke saß; Billi war der Name des kleinen Welpen.
„Ach wie schön wäre es, wenn ich dich zu Weihnachten bekommen könnte. Ich könnte mit dir herumtollen, mit dir schmusen und dich ganz lieb haben," flüsterte Mariechen. „Wäre da nicht der Kobold, er will Weihnachten stehlen und den Kindern die Freude nehmen. Dabei ist Weihnachten doch so ein schönes Fest, es muss keiner alleine sein, es wird zusammen gegessen, Lieder werden gesungen, und es gibt Geschenke. " Wieder fiel ihr Blick auf den Welpen. "Wenn ich dich bekommen würde, müsste keiner von uns beiden mehr alleine sein."
Das hörte Nelly, die Ratte, die sich ja in Mariechens Schultasche versteckt hatte. „Das arme Mädchen", dachte die Ratte traurig. jetzt wußte sie, warum Mariechen so verstört war.
Plötzlich gab es ein zischendes Geräusch und Mariechen erschrak sich fürchterlich; auch Nelly piepste vor Schreck! Jack der Kobold war aus dem nichts aufgetaucht.
„Ja ja, träum du nur weiter, aber Weihnachten fällt dieses Jahr aus, jawohl! Dieses Mal ja, das schwöre ich dir; du brauchst dich gar nicht erst zu freuen oder davon zu träumen, kleines Fräulein!", sagte Jack und lachte böse.
Nelly kochte vor Zorn jetzt wußte sie, warum Mariechen so verstört war, sie kletterte nach oben, bis an den Rand von Mariechens Rucksack und stürzte sich wutentbrannt auf Jack. "Du bekommst nun eine Abreibung!", fiepste Nelly zornig und sprang auf Jack zu. Der aber lachte nur böse und wehrte sie ab. Zum Glück landete Nelly weich auf dem Boden.
Mariechen riß ihre Augen auf und schaute ungläubig auf Nelly, die weiße Ratte. Und sie fragte sich, was noch alles passieren würde und vor allen Dingen, wo die sprechende Ratte herkam!
"Träume ich jetzt?", fragte Mariechen verwundert, "seit wann können Ratten denn sprechen?" Nelly lief schnell an Mariechens linkem Bein nach oben und setzte sich auf ihren Arm. "Weißt du Mariechen, ich bin eben eine besondere Ratte, und die menschliche Sprache habe ich erlernt, weil ich sehr viel mit Menschen zu tun habe." Nun war der erste Schreck Mariechens verflogen, und sie schaute Nelly interessiert an. "Wenn du so eine kluge Ratte bist, dann sage mir doch einmal, ob wir gegen diesen frechen Kobold nichts unternehmen können. Er will doch tatsächlich das Weihnachtsfest stehlen und es ganz für sich alleine haben." Mariechen verzog ihr Gesicht kummervoll. "Kann man denn gar nichts dagegen tun?"
"Doch, man kann", sagte Nelly entschlossen, "ich kenne nämlich Geoffrey, er ist ein Lebkuchengeist und besitzt viele Zauberkräfte. Ihm werde ich einmal von dem frechen Kobold erzählen. Ich wette mit dir, dann wird der nichts mehr zu lachen haben, denn Geoffrey kann ziemlich böse werden. Sehr böse sogar."
"Ach Nelly liebste Nelly, kann ich nicht mitkommen zu Geoffrey?", fragte Mariechen ganz aufgeregt, "ich habe noch nie im Leben einen Lebkuchengeist gesehen, ach bitte, bitte, ja?" Nellys blanke Augen schauten auf Mariechen, und sie schien kurz nachzudenken. "Ja, das darfst du, meine Kleine. Und weißt du was? Wir werden auch Roger mitnehmen, und gemeinsam werden wir an einem Plan arbeiten, diesem frechen Kobold zu zeigen, dass wir uns das Weihnachtsfest nicht einfach stehlen lassen."
Gesagt, getan, die beiden wanderten gemeinsam zu Roger und erzählten ihm die Geschichte von Jack, dem Kobold. Und als der hörte, was Mariechen und Nelly geplant hatten , strahlten seine Augen, und er sagte: "Klar, gehe ich mit, gemeinsam werden wir es sicher schaffen, das wäre ja gelacht."
Sie machten sich nach der Schule auf den Weg und sie kamen zu einer alten Villa mit riesengroßen Fenstern und einer dunklen eisenbeschlagenen Eingangstüre. Nelly sagte den beiden Kindern, sie sollten kurz warten. Dann verschwand sie durch ein Loch in der alten Ziegelwand. Es dauerte eine ganze Weile, doch dann wurde die Türe geöffnet. Dort stand ein Mann mit einem lustig gestreiften Anzug, er lächelte freundlich. "Kommt nur herein Kinder, ich bin Benjamin, der Butler dieses Hauses, und dort hinter mir, das ist Rosalinde, meine Frau. Sie kocht hier in diesem Hause und sie wird euch beiden erst einmal einen heißen Kakao zubereiten mit einer dicken Sahnehaube oben drauf."
Rosalinde, eine gewichtige Dame mit einem freundlichen kugelrunden Gesicht lachte die Kinder mit lustigen Augen an und breitete ihre Arme aus. "Kommt her zu mir, ihr Lieben, hier bei uns seid ihr genau richtig."
Und wirklich, hier in der Küche duftete es nach frischen Anisplätzchen, gebrannten Mandeln und gebratenen Äpfeln. "Einfach toll der Duft", seufzte Mariechen und setzte sich mit Roger und Nelly zusammen auf eine große Eckbank. Rosalinde stellte den beiden Kindern je eine Tasse Kakao mit einem dicken Schlag Sahne vor die Nase, und Nelly bekam ihre Portion in einer Untertasse. Roger und auch Mariechen genossen diese Wärme, die den ganzen Raum erfüllte. Diese offene, liebevolle Art des Ehepaares tat beiden Kindern sehr gut.
"Nun erzählt mal, was denn der Grund eures Besuches ist", forderte Benjamin die kleinen Gäste auf. Roger öffnete schon den Mund, um alles zu erzählen, als Mariechen und Nelly laut losprusteten. Roger blickte fragend zu seinen Freunden hinüber und dann zu der Köchin, die auf seine Oberlippe deutete. "Hihi, Roger, dir ist ganz plötzlich ein Weihnachtsbart gewachsen", grinste Mariechen, und Roger wischte sich ganz schnell den leckeren Schaum mit der Hand vom Mund. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Jungen, aber dann erinnerte er sich an den Kobold, und eine tiefe Falte zog sich über seiner Stirn zusammen.
Als die Kinder dem Ehepaar von den Plänen des Kobolds erzählt hatten, murmelte Rosalinde: "Oh, je", "dieser unmögliche Kobold darf nicht die Oberhand gewinnen, denn was wäre ein Jahr ohne das Fest der Liebe?" Die Blicke zwischen Benjamin und der Köchin kreuzten sich, und der Butler nickte nur stumm und verließ schnell das Zimmer.
"Wo geht Benjamin denn hin?", fragte Mariechen. Über Rosalindes rundes Gesicht huschte ein schelmisches Lächeln. "Das werdet ihr gleich sehen Kinder", sagte sie, "er wird gleich mit einer Überraschung zurück sein." Die Kinder tranken weiter mit Genuss ihren leckeren Kakao, und Roger schleckte mit den Fingern den letzten Rest Sahne aus der Tasse. Als er bemerkte, dass er beobachtet wurde, zog eine verlegene Röte über seine Wangen. "Gib mir deine Tasse Roger", sagte Rosalinde lachend, "es ist noch genug von allem da."
Die Türe öffnete sich und der Butler Benjamin kam zurück in die Küche. Über sein Gesicht zog ein breites Grinsen, und er sagte: "Schaut einmal her, wen ich euch mitgebracht habe, Kinder", und hinter Benjamin erschien ein Wesen, so etwas hat noch keiner der Anwesenden jemals gesehen. Wie ein riesiger Weckmann sah es aus, aber es war durchscheinend, und es schwebte sachte in die Küche hinein. Nelly rannte auf das Wesen zu und rief erfreut: "Geoffrey mein Freund, da bist du ja", und der Lebkuchengeist, beugte sich freundlich lachend zu der kleinen Ratte hinunter. „Hallo Nelly, dich habe ich ja lange nicht mehr gesehen; bestimmt gibt es ein Problem, das wir gemeinsam lösen können, habe ich recht?"
"Klar Geoffrey gibt es ein Problem, ein schreckliches sogar", fiepste Nelly ganz aufgeregt. Und sie begann dem Lebkuchengeist von dem schrecklichen Kobold zu erzählen, und auch die Kinder fielen in dieses Gespräch mit ein. Jeder wollte seinen Ärger über Jack schnell loswerden.
Geoffrey hörte sich alles an, und dann neigte er seinen durchscheinenden Kopf hin und her. Dabei zog ein köstlicher Duft nach Lebkuchen durch die ganze Küche. "Also, ich kenne Jack, den Kobold, er ist zwar ein frecher Kerl, aber herzlos ist er eigentlich nicht. Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, dass er diesen Plan gefaßt hat, weil er noch niemals bei irgendjemandem zum Weihnachtsfest eingeladen wurde?" Geoffrey schaute der Reihe nach die Kinder und Nelly an.
Mariechen war die Erste, die sich zu Wort meldete: "Du könntest recht haben, Geoffrey, und darum will er Weihnachten stehlen, damit auch die anderen das Fest nicht feiern können." Die anderen nickten beipflichtend mit ihren Köpfen, und auch Nelly saß ganz still und überlegte.
Rosalinde, die Köchin, hatte auf einmal eine Idee: "Was haltet ihr denn davon, wenn wir hier im Haus eine schöne Weihnachtsfeier veranstalten? Hier ist so viel Platz, und der alte Herr Nickelpenny, dem das Haus gehört, wird sicher nichts dagegen haben. Er ist ja auch immer alleine und oft sehr traurig darüber."
Benjamin rieb sich vor lauter Begeisterung seine Hände. "Das ist aber eine sehr gute Idee, mein geliebtes Weib. Alle werden hierher kommen, und wir laden auch den Kobold Jack dazu ein. Dann wird er sicherlich seinen bösen Plan aufgeben."
Am nächsten Tag, nach der Schule, trafen sich alle wieder bei Rosalinde in der Küche, um Einladungskarten zu basteln. "Wie viele Karten brauchen wir denn?", erkundigte sich Mariechen. "Nun, da sind der Großvater von Roger, deine Lehrerin, Frau Rinterbell, Herr Nickelpenny, der zwar sein Haus zur Verfügung stellt, sich aber auch über eine Karte freuen würde, und natürlich der Kobold Jack", antwortete Benjamin, der mit einem verschmitzten Lächeln eine große Schüssel voll mit Lebkuchenteig auf den Tisch stellte. "Nanu, was sollen wir denn damit?", fragte Roger verdutzt. Da öffnete sich die Küchentüre, und der Lebkuchengeist steckte kurz seinen Kopf herein, er meinte:" Das sind die Einladungskarten für unsere Weihnachtsfeier! Es ist ein ganz spezieller Teig, den ich für euch angerührt habe. Na, ihr werdet es schon merken!", und schwupps war er wieder verschwunden.
Noch etwas irritiert blickten sich die Kinder und Nelly an, aber als Rosalinde Mandelkerne, Zuckerkringel, Rosinen, Nüsse, getrocknete Früchte und farbigen Zuckerguss dazustellte, erkannten sie alle den Sinn dieser Sache.
"Na klar", verkündete Roger, "wir backen uns Einladungskarten!" "Au fein" und "Juhuu" riefen Mariechen und Nelly, und mit großem Eifer begannen sie ihr Werk. Die Zeit bis zum Abend verging wie im Fluge. Voller Stolz betrachteten alle ihre Werke: Da lagen sie nun, die Lebkuchenkarten. Hübsch verziert mit den Zutaten und jede mit persönlichem Namen versehen. ‚Einladung zum 24. Dezember‘ stand in Zuckerschrift darauf geschrieben, und ein kleines Herz, aus Mandelkernen geformt, versprach einen liebevollen Empfang.
"Nun aber schnell", fiepste die Ratte Nelly mit einem kritischen Blick auf die Wanduhr. "Ab nach Hause, sonst machen sich alle noch Sorgen, wo ihr denn bleibt!" „ Und morgen verteilen wir dann die Karten, nicht wahr?", fragte Mariechen mit leuchtenden Augen. „Aber sicher", bejahte Benjamin. "Wenn die Zuckerschrift getrocknet ist, dürfen sie alle verteilt werden! Danach besorgen wir noch den Baum für unser Fest."
Der alte Herr Nickelpenny hatte zu seinem großen alten Haus natürlich auch einen riesengroßen Garten. Dort wuchsen mächtige Bäume, die schon sehr viele Jahre alt waren. Genau in der Mitte dazwischen stand eine kleine Tanne mit Namen Lily. Sie bemühte sich so sehr, ein großer Tannenbaum zu werden, aber weil die anderen großen Bäume so viel Licht und Sonne brauchten, bekam sie einfach immer viel zu wenig davon ab. Sie reckte ihren Stamm und streckte ihre Äste in alle Richtungen aus, aber das Wachsen wollte trotzdem nicht schneller gehen. "Bald ist Weihnachten", dachte Lily sehnsüchtig, "und wieder kann ich kein Weihnachtsbaum werden, weil ich viel zu klein bin." Traurig senkte sie ihre Äste, und ihre eigentlich wunderschöne glänzend grüne Farbe wollte vor lauter Kummer ganz matt werden. "Wie soll das denn aussehen, wenn so ein Winzling wie ich im weihnachtlichen Glanz erstrahlen soll?", dachte sie ganz verzweifelt.
Die darauffolgende Nacht war bitterkalt, sodass es einem fast den Atem gefror. Am Himmel stand ein dicker runder Vollmond, der sich sogar vor lauter Kälte einen nebeligen Schal umgelegt hatte.
Solche Vollmondnächte liebte Geoffrey, der Lebkuchengeist, ganz besonders. Denn in alten Schriften für Lebkuchengeister konnte man lesen, dass Geoffrey und alle anderen Lebkuchengeister auf der ganzen Welt in solchen Nächten erst recht besondere Zauberkräfte besaßen.
Und so streifte Geoffrey unternehmungslustig durch die Nacht, immer auf der Ausschau, ob er irgendwo ein wunderbares Zauberkunststück vollbringen könnte. So schwebte er auch durch den großen Garten des alten reichen Herrn Nickelpenny, in dem er das traurige Weinen von der kleinen Tanne Lily hörte. Mitleidig stoppte er seinen Flug bei ihr und ließ sich von ihr erzählen, woher denn der große Kummer des kleinen Baumes rühre.
"Nichts ist doch leichter als das, meine liebe Lily. Da kann ich doch sofort Abhilfe schaffen. Da wir in den nächsten Tagen ohnehin einen Weihnachtsbaum im Hause gebrauchen können, werde ich jetzt eine wunderschöne große Tanne aus dir zaubern." Er blies seine dicken Wangen auf, um seinen verzauberten Atem über den kleinen Baum zu pusten. "Halt, halt", rief Lily, "wenn du mich schon verzauberst, Geoffrey, dann zaubere doch bitte auch noch bunte Christbaumkugeln herbei, und ein wenig flatterndes Lametta hätte ich auch noch zu gerne." Lily schien vor lauter Eifer total aus dem Häuschen zu geraten. "Da hast du aber Glück, mein kleiner Baum, dass ich gerade hier vorbeikomme. Und dass wir gerade einen Weihnachtsbaum dringend brauchen. Also, nun geht‘s gleich los Lily, bitte erschrick nicht, wenn es jetzt gleich in deinem Baumstamm einen Ruck geben wird." Er pustete die Wangen auf und hob beschwörend seine geisterhaften Arme in die Höhe.
Und trotz dieser klaren Nacht umhüllte ein glitzernder Nebel den kleinen Baum. "Wow", dachte Lily, als sie an sich herunterblickte und ihre Verwandlung erst gar nicht glauben konnte. Herrlich geschmückt stand sie kerzengerade und in stattlicher Größe vor Geoffrey. Ein leises Läuten durchdrang die Stille, als sie sich leicht nach vorne beugte, um sich bei ihm zu bedanken. Unzählige Lebkuchenmännchen, die alle eine kleine Glocke an ihrem Gürtel aus Marzipan trugen, bewegten sich zu Lilys Bewegungen hin und her. Dazu verströmten sie einen verlockenden Duft, der einem das Herz öffnete.
"Tja, da habe ich mich wohl selbst übertroffen", brummte der Geist, und mit einem äußerst zufriedenen Lächeln auf seinem Gesicht verschwand er im Haus, noch bevor Lily irgendetwas zu ihm sagen konnte.
Am anderen Morgen trafen sich alle bei Rosalinde in der Küche. Sie hatte erst einmal für alle heißen Kakao gekocht, und Benjamin gab noch einen ordentlichen Klecks Sahne auf das köstliche Getränk.
Die Lebkuchen-Einladungskarten wurden vorsichtig eingepackt, damit sie auch ja nicht zerbrachen. Benjamin zog sich eine dicke Jacke an, er hatte nämlich vor, die Kinder zu begleiten. Nelly fiepste leise, bis Benjamin sie hochnahm und sie in seiner Jackentasche verschwinden ließ. "Wenn ihr zurückkommt, gibt es wieder heißen Kakao", versprach Rosalinde, und der Lebkuchengeist Geoffrey grinste schelmisch: „Ich habe auch noch eine besondere Überraschung für euch, wenn ihr zurück seid." Er pustete übermütig in die Luft, sodass ein starker Geruch nach Lebkuchen durch die Küche zog.
"Was meint ihr, bei wem wir denn die erste Karte abgeben werden?", fragte Mariechen zaghaft. Benjamin räusperte sich entschlossen. "Also, wenn ich ehrlich bin, dann würde ich zuerst Jack, den Kobold aufsuchen. Ich bin ja mal zu neugierig, was er wohl von dieser Einladung sagen wird."
Und alle waren der Meinung, dass Benjamin recht hatte, und so machten sie sich auf den Weg zur Behausung des grünäugigen Kobolds. Jack wohnte in einem schiefen Holzhäuschen am Ende einer versteckten Waldschonung, und als man sich der Hütte näherte, sah man Rauch aus dem Kamin steigen. Der Kobold war also zu Hause.
Mariechen, Roger und Benjamin standen vor der Türe der windschiefen Holzhütte. Nelly, die Ratte, streckte neugierig ihre Nase aus Benjamins Tasche und fiepste: "Nun klopft doch schon an, macht doch schon!" Die drei schauten sich fragend an, bis sich Roger ein Herz fasste und mit seiner Faust kräftig an die Türe klopfte. Zuerst konnte man nichts hören, dann rumpelte etwas, und Schritte näherten sich der Türe.
Jack, der Kobold, streckte seinen Kopf zur Türe heraus und schaute ziemlich verwundert auf die dort Wartenden. "Nanu, womit habe ich das denn verdient, dass ihr mich besuchen kommt?", fragte er mit seiner etwas schrill klingenden Stimme. Mariechen hielt ihm mutig die Einladungskarte aus Lebkuchen entgegen. "Hier, wir haben dir etwas mitgebracht, Jack, extra gebacken für dich", sagte sie mit einem zaghaften Lächeln.
Der Kobold griff etwas zögernd nach dem Lebkuchen, und als er merkte, dass ein verführerischer Duft von diesem Geschenk ausging, schaute er doch ein wenig genauer hin. Man merkte, wie seine Augen immer größer und größer wurden, als er las, was auf dem Lebkuchen stand.
Fassungslos schaute er auf die Kinder und auch auf Benjamin, und dann begannen auf einmal, grasgrüne Tränen aus seinen Augen zu fließen. "Ihr wollt mich wirklich zu eurer Weihnachtsfeier einladen?", schluchzte er, "so etwas ist mir ja in meinem ganzen Koboldleben noch nie passiert." Die Kinder und Benjamin lächelten freundlich."Jetzt sage uns doch, ob du kommen wirst, Jack, wir haben noch sehr viel zu tun, denn wir wollen so gerne heute noch die anderen Einladungen zu den anderen Gästen bringen, und einen Weihnachtsbaum brauchen wir ja auch noch."
Der Kobold begann vor lauter Freude von einem Bein auf das andere zu hüpfen. "Sicher komme ich, denn noch nie war ich zu Weihnachten irgendwo eingeladen", strahlte er freudig, "und ich werde euch koboldmäßige Geschenke mitbringen, verlasst euch drauf."
Seine Gedanken, Weihnachten zu stehlen, waren mit einem Mal in der Luft verpufft, und wichen dem glücklichen Gefühl, doch noch beachtet zu werden. Und die Kinder empfanden jetzt keine Angst mehr vor Jack, dem Kobold.
"Ich will auch nie mehr alleine sein", seufzte Mariechen, und sehnsuchtsvoll wanderten ihre Gedanken zu dem kleinen Hund Billi. "Aber , du hast doch uns", tröstete sie Roger und legte brüderlich seinen Arm um ihre Schultern. Aber er kannte sie auch, diese Empfindung, die alles so trostlos und schwer erscheinen ließ. "Zum Glück feiern wir dieses Jahr alle zusammen das Fest der Liebe", dachte er erleichtert. Die Vorfreude auf die erstaunten Gesichter der anderen geladenen Gäste ließen sie besonders große Schritte machen,um so schneller in die Stadt zu kommen.
"Jetzt lasst uns aber ganz schnell die anderen Karten verteilen", sagte Benjamin, "denn es wird schon empfindlich kalt". Er schlug den großen Kragen seines Mantels hoch und vergrub seine Hände tief in den Taschen.
"Hallo du", fiepste Nelly, "nicht dass du mich zerdrückst, ich bin auch noch da!" Benjamin lächelte verschmitzt. "Als ob ich dich vergessen könnte, Nelly. Du bist doch die beste Taschenheizung, die es gibt." Vorsichtig streichelte er über das weiche Fell der weißen Ratte.
Frau Rinterbell und auch all die anderen, die auch eine Einladung aus Lebkuchen bekommen hatten, freuten sich schon sehr auf den Heiligen Abend, und sie versprachen auch, alle zu kommen. "Jetzt aber schnell zurück zum Haus Kinder", sagte Benjamin, "Rosalinde wird uns einen heißen Kakao kochen, und ich spendiere heute einen extra dicken Klecks Sahne, weil wir so fleißig waren."
Alle begannen, schneller zu laufen, denn die Vorfreude auf den Kakao beflügelte ihre Schritte. Als sie aber das Haus betraten, wartete eine noch viel größere Überraschung auf alle. Geoffrey, der Lebkuchengeist, hatte, während sie unterwegs waren, den feierlich geschmückten Weihnachtsbaum Lily ins große Wohnzimmer getragen, und Rosalinde hatte das Feuer im Kamin angezündet, damit sich die Ankommenden aufwärmen konnten. Sogar der alte Herr Nickelpenny hatte sich in seinen gemütlichen Lehnstuhl gesetzt, und ein freundliches Lächeln ging über sein sonst sooft meist verbittertes Gesicht.
"Jetzt kann es ja wirklich Weihnachten werden", sagte Benjamin mit einem ganz behaglichen Gesichtsausdruck. Dann ging er schnell zum alten Herrn Nickelpenny und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der alte Herr hörte aufmerksam zu, und sein Blick wanderte zu Mariechen, der kleinen Waisen. Dann ging ein strahlendes Lächeln über das Gesicht des alten Herrn, und er flüsterte Benjamin etwas zu. "Genauso machen wir das, ganz genauso. Das wird ja eine Freude werden am Heiligen Abend", sagte Benjamin, und er knipste seiner Frau Rosalinde schelmisch ein Auge zu.
Der Morgen des Heiligen Abend war angebrochen. Aus der großen Küche des Hauses kam ein verführerischer Duft von guten Dingen, und man hörte Rosalinde schon mit Töpfen und Pfannen herumklappern. Ihre Wangen waren vor lauter Eifer gerötet, und stolz blickte sie auf die Leckereien, die sie schon zubereitet hatte.
Benjamin war im Haus beschäftigt; er sorgte dafür, dass in dem großen Wohnzimmer alles für die Gäste bereit gestellt war. Und der alte Herr Nickelpenny war auch schon anwesend. Er hatte schon seinen guten Anzug an, und aufgeregt schaute er Benjamin zu, ob der auch alles richtig machte. So viele Gäste hatte sein Haus ja schon ewig nicht mehr gesehen, und der alte Herr sah richtig glücklich und zufrieden aus.
Niemand achtete auf die große Eingangstüre, die einen Spalt offen stand. Plötzlich und unvermittelt stand Jack, der Kobold, mitten in dem großen Wohnzimmer, und als man ihn entdeckte, wurde er puterrot. "Ich bin nur so früh hier, weil ich so viele Geschenke zu tragen hatte", stammelte er verlegen, und er legte eine riesige Menge kleiner Pakete unter den Weihnachtsbaum.
"Dann geh mal schnell in die Küche, Jack und lasse dir von Rosalinde einen Kakao machen", schmunzelte Benjamin. „Vielleicht kann sie ja auch einen fleißigen Helfer gut gebrauchen." Mit verlegenem Blick wanderte Jack in die Küche, und als Rosalinde ihn lächelnd anblickte, wurden seine Wangen noch ein wenig roter.
"Na, wer kommt denn da?" fragte die Köchin, "ein hungriger Geselle etwa?" Jack druckste herum, und dann brach es aus ihm heraus: "Ach ich habe doch vor lauter Aufregung garnicht mehr schlafen können, ich bin noch niemals zum Weihnachtsfest eingeladen worden, noch nie in meinem ganzen Koboldleben."
Rosalinde lächelte und streichelt Jack durch sein grünes Haar. "Und wir freuen uns, dass du bei uns bist, Jack. Schön, dass du schon hier bist, denn wir können einen fleißigen Helfer noch gut gebrauchen. Es gibt noch viel zu tun, bis heute Abend."
Na, und wer jetzt meint, dass Kobolde nur Unsinn im Kopf haben und sonst nichts anderes können, der irrt sich aber sehr! Jack flitzte nur so umher und half, wo er nur konnte. Mit einem Mal bemerkte er den erstaunten Blick von Herrn Nickelpenny, der ihn ganz genau zu mustern schien.
"Zapperment, was ist denn los?", fragte sich Jack, und Rosalinde hielt ihm mit einem breiten Schmunzeln ein silbernes Tablett vor sein Gesicht. Da erblickte Jack sein Spiegelbild und plumpste vor lauter Überraschung rücklings auf seinen Hosenboden. "Ach, ihr siebenundsiebzig Waldmeister, wie seh‘ ich denn aus?" Seine Finger fuhren durch sein Koboldhaar, und ungläubig hielt er eine Strähne hoch in die Luft. Grüne Locken umrahmten sein Gesicht, und bei jeder Bewegung wippten sie wie kleine Korkenzieher auf und ab.
Benjamin, der Butler, der gerade wieder einen Scheid Holz im Ofen nachgelegt hatte, meinte gelassen:" Tja, auch du bleibst eben von dem weihnachtlichen Zauber in diesem Haus nicht unberührt.!"
„Eigentlich sieht das garnicht mal so schlecht aus", lächelte Jack. "
Das erinnert mich irgendwie an Engelshaar", bemerkte leicht räuspernd der alte Herr Nickelpenny, und der Kobold fühlte sich richtig geschmeichelt. "Wie wunderbar, nicht mehr allein zu sein", jubelte es in seinem kleinen Herzen, und mit Freuden deckte er den Festtagstisch.
Richtig schön sah die festlich geschmückte Tafel aus, und Rosalinde hatte zur Feier des Tages ihre schönste weiße gestärkte Schürze angezogen. "Jetzt können die Gäste kommen", sagte sie mit vor Feuereifer geröteten Wangen. Kaum ausgesprochen, läutete es an der Türe, und als Benjamin öffnete, purzelte eine ganz Schar Kinder ins Haus. Da waren natürlich Mariechen und Roger, aber sie hatten noch einige Kinder aus ihrer Klasse mitgebracht. Das waren Theresa, Tobias und der rothaarige Nick, der ganz lustige Sommersprossen auf seiner Nase hatte. Alle hatten sich eine ganze Menge zu erzählen, und ein lustiges Stimmengewirr drang durch das alte Haus.
Herr Nickelpenny strahlte, und er knipste dem Kobold Jack mit einem Lächeln ein Auge zu: "Siehst du Jack, wie viel Freude es machen kann, gemeinsam zu feiern." Beschämt senkte Jack seinen Blick, denn ihm fiel wieder ein, dass er ja das Weihnachtsfest eigentlich stehlen und ganz für sich alleine haben wollte.
"Wo bleibt denn nur Frau Rinterbell?", fragte Mariechen, "sie hatte doch versprochen zu kommen". Alle Kinder sahen sich an, und einige zuckten ratlos die Schultern. "Sie wird noch etwas zu erledigen haben", sagte Benjamin mit einem schelmischen Zwinkern zu Herrn Nickelpenny. "Keine Sorge, sie wird bald hier sein."
Jack machte seinem Namen als Kobold alle Ehre, und unterhielt die muntere Schar mit seinen Kunststücken. Da wirbelten Lebkuchen und leckere Nusskringel durch die Luft, und Mandarinen türmten sich auf seiner Nasenspitze. Lautes und fröhliches Gelächter waren überall zu hören, und als Jack den Trick mit der verschwundenen Kakaotasse zum 5. Mal vorführte, betraten Frau Rinterbell und der Großvater von Roger die gute Stube.
"Ah, endlich alle da!", fiepste Nelly und zog gerade ihre kleine Nase aus ihrem Becher mit leckerer Schokolade. "Nun, dann steht ja der Bescherung nichts mehr im Wege", sagte freudestrahlend Herr Nickelpenny und erhob sich feierlich von seinem Sessel.
Erwartungsvoll drängelten sich die Kinder und die Erwachsenen vor der Wohnzimmertüre, die mit einem Male, wie von Geisterhand geöffnet wurde. Helles Glockenspiel ertönte, und ein wunderbarer Lebkuchenduft verbreitete sich überall. In der Mitte des Zimmers erstrahlte die Tanne Lily in vollem Glanze. Überwältigt von solch einem Anblick hörte man zuerst nur "Aah" und "Oooh" und "Wie wunderschön", und einige der Kinder blieben wie angewurzelt mit offenem Munde stehen. Selbst der alte Herr Nickelpenny und Rogers Großvater waren von diesem Weihnachtszauber tief berührt und wischten sich beide verstohlen eine Träne aus ihrem Gesicht.
Unter dem Weihnachtsbaum lagen viele Geschenke, die liebevoll in schimmerndes Papier eingepackt waren, und dank Jack und seinen Mitbringseln würden sie auch für alle im Überfluss reichen. Da erhob Frau Rinterbell, die Lehrerin, ihre Stimme: "Lieber Gastgeber und liebe Gäste, heute dürfen wir alle gemeinsam zusammen Weihnachten feiern. Als kleines Dankeschön haben die Kinder für euch etwas vorbereitet." Roger, Mariechen und alle anderen Kinder traten nach vorne und sangen mit rotgefärbten Wangen ihre Lieblingsweihnachtslieder. Aber danach gab es kein Halten mehr.
So war kurze Zeit später der alte Parkettboden in dem riesigen Wohnzimmer übersät mit glitzerndem Geschenkpapier und bunten gekringelten Bändern. Mit Feuereifer packten die Kinder ihre Geschenke aus. "Schau doch einmal, was ich habe", oder "sieh doch mal wie schön". Die freudigen Ausrufe der Kinder übertönten fast die Stimme von Geoffrey, dem Lebkuchengeist: "Kommt doch alle einmal hierher", rief er mit seiner tiefen Stimme, "hier gibt es etwas für euch zu sehen."
Er stand an der großen Eingangstüre, und sein durchscheinender Lebkuchenarm zeigte zum Himmel empor. Die Kinder und auch die Erwachsenen stellten sich um Geoffrey herum, und mit staunenden Augen erblickten sie die goldene Kutsche von Santa Claus, der mit seinem Rentiergespann im weiten Bogen über das Himmelszelt flog. "Schaut doch einmal, er winkt uns zu!", flüsterte Mariechen ganz ergriffen, und Jack, der grünhaarige Kobold, weinte vor Rührung wieder ein paar dunkelgrüne Tränen.
"Dann geht mal weiter eure Geschenke auspacken",
sagte Geoffrey, der Lebkuchengeist, und er schmunzelte über sein ganzes rundes Lebkuchengesicht. Zwischen den Bergen von Geschenkpapier sah man auf einmal eine winzige Hundenase hervorstehen, und als der kleine Hundekopf endlich vollkommen zu sehen war war, erkannte man Billi, den kleinen krummbeinigen Welpen. Seine blanken Knopfaugen blickten lustig umher, und um sein linkes Ohr war ein Stückchen rotes Geschenkband gewickelt.
Mit angehaltenem Atem schauten die Kinder auf den kleinen Hund, und Mariechen stieß einen Freudenschrei aus. "Ach, da ist ja der kleine süße Hund, wo kommt denn der auf einmal her?" Der alte Herr Nickelpenny ging zu Mariechen und streichelte ihr liebevoll über den Kopf. "Mir ist zu Ohren gekommen, dass dieser kleine Hund ein Zuhause braucht. Und weil ich hier im Haus mehr Platz habe, als ich brauche, und auch einen großen Garten, habe ich beschlossen, dass Billi hier wohnen darf." Der alte Herr Nickelpenny schaute lächelnd auf das sprachlose Kind, "und weil ich möchte, dass Billi auch eine Freundin hat, denke ich mir, dass du ihn hier besuchen darfst, so oft du nur magst. Eigentlich könnte ich so eine kleine nette Freundin wie dich auch gut gebrauchen."
Mariechen hielt sich erst die Hände vors Gesicht, damit man ihre Tränen nicht sehen konnte, und dann fiel sie dem alten Herrn Nickelpenny vor Freude um den Hals. "Ich habe einen kleinen Hund, jetzt bin ich nicht mehr alleine!", rief sie mit tränenerstickter Stimme.
Jack der Kobold schaute auf die weihnachtliche Gesellschaft und dachte nur: "Nur gut, dass ich Weihnachten nicht gestohlen habe, ich hätte vielen Menschen - und natürlich auch mir - eine große Freude weggenommen."
Übermütig warf er seine Mütze hoch in die Luft, stellte sich auf seine Zehenspitzen und rief so laut, wie er nur konnte: "Ich wünsche euch allen ein frohes Weihnachtsfest!"
So geschah es also, dass das Weihnachtsfest ein Fest für alle Menschen geblieben ist. Der Kobold Jack hat nie wieder versucht, das Weihnachtsfest für sich alleine zu haben; denn, wer ist Weihnachten schon gerne alleine?
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