Minker der Kater
Unsere Geschichte führt uns in eine Bäckerei am Rande einer Kleinstadt im ehemaligen Ostpreußen. Hier verbrachte meine Großmutter Auguste ihre Kindheit. Sie konnte wunderschön erzählen. An langen Winterabenden saß ich in ihrer Nähstube am Ofen, unsere Katze schnurrend zu meinen Füßen. Und die Erzählung begann etwa so:
Es war einmal ein fleißiger Bäcker, der backte Brot, Brötchen und leckere Kuchen, immer eins nach dem anderen. Morgens um drei Uhr wenn noch alle Leute schliefen begann er mit seiner Arbeit. Er zündete die Petroleumlampe an und ging zum Bottich mit dem Sauerteig. „Was ist denn das“, der Meister traute seinen Augen nicht, eine Maus zappelte im Brotteig. “Wieder eine Maus! Molli hierher, Molli!“ Der Terrier hob verschlafen den Kopf und schaute blinzelnd sein Herrchen an.“ Der Hund ist zu nichts mehr zu gebrauchen“, schimpfte er. „Liegt faul herum und schläft den ganzen Tag anstatt auf Mäusejagd zu gehen. Ein unnützer Fresser weiter nichts.“ „Alter Köter, alter Köter“ rief Jacko der Papagei. „Ruhe! Du weckst noch das ganze Haus auf!“ Meister Kuchenbäcker war den ganzen Tag verärgert. Abends sagte er zu seiner Frau, „Die Mäuse tanzen durch die Backstube und fressen alles an. Das verdirbt mir das Geschäft.“ „Molli ist alt, sie wird im August 11 Jahre“, sagte die Frau. „Wir brauchen einen neuen Mäusejäger, Nachbars Katze hatte im Frühjahr Junge, drei sind noch bei der Mutter. Was meinst du dazu Hermann?“ „Die schau ich mir mal an, wenn ein kräftiger Kater dabei ist, nehme ich ihn gleich mit.“
„Das ist ein Prachtexemplar, 14 Wochen alt und schon so kräftig, bald doppelt so groß, wie die beiden Schwestern.“ Der kleine Karl, der seinen Vater begleitet hatte, freute sich über die grau getigerte Katze. „ Die schläft bei mir im Bett“ sagt er, „dann kann ich sie die ganze Nacht streicheln.“ „Nein sie bekommt ihren Platz in der Backstube, damit sie Mäuse fängt.“ Minker lief neugierig herum und inspizierte das neue Haus. Plötzlich machte der kleine Kater einen riesigen Buckel und fauchte; ein Hund, direkt vor seine Nase. Er wollte gerade seine Krallen ausfahren, da winselte Molli eine freundliche Begrüßung. An Nachbars Katze war sie gewöhnt, sie hatten seit Jahren Frieden geschlossen. Minker wurde ruhiger und beide beschnupperten sich. „Sie werden Freunde“, hoffte Karl. Minker gehörte jetzt zur Familie. Den ganzen Tag wollte Karlchen mit der Katze spielen, aber morgens wenn er aufstand schlief der Kater fest. „Warum schläft er nur immer?“ fragte er die Mutter. „Die Katze ist ein nachtaktives Tier, sie kann im Dunklen gut sehen. Dann geht sie auf Beutejagd, darum ist sie bei uns.“ Im nächsten Frühjahr war Minker zu einem Riesenkater heran gewachsen. Alle Hausbewohner waren seine Freunde, alle bis auf Jacko, der Graupapagei. Jacko hatte beobachtet, wie Minker ein Vogelnest plünderte. Die kleinen Meisen wollten gerade fliegen lernen, sie waren leichte Beute. „Mörder“ schrie der Papagei, „Mörder!“ „Mörder“ hörte der Bäcker am Backofen seinen Papageien rufen. Der Meister stürzte hinaus, alles war wie immer, ein friedlicher Morgen. „Der Papagei wird wunderlich.“ Warum glaubte man ihm nicht? Er hatte Erfahrung mit seinen 70 Jahren.
Am Sonntag hatte Karlchen Geburtstag. Er durfte seine Freunde Klaus und Richard einladen. Alle waren gekommen, um zu gratulieren. Sechs Kerzen waren auf der Torte, die hatte er alle ausgeblasen. „Im September wirst Du eingeschult, jetzt bist du ein großer Junge“, sagte Großmutter. Dann mußte Karlchen doch als erster ins Bett. Vor lauter Aufregung konnte er nicht schlafen. Der Vollmond schien genau in sein Gesicht, es war taghell im Zimmer. Karlchen machte das Fenster weiter auf und schaute durch die schmiedeeisernen Gitter. „Frau, frau, miau miau“, Minker stolzierte mit hoch erhobenem Schwanz über den Hof. Aber da waren ja zwei Katzen, Karlchen konnte ihre Schatten genau sehen. Die Kater standen sich in fürchterlicher Drohgebärde gegenüber. Minker hob die Pfoten und prügelte los. „Das ist mein Revier, verschwinde, mau mau!“ Die Kater hörten nicht auf zu schreien. Auch aus den Büschen funkelten Katzenaugen, überall. Die Katzen kamen aus der Nachbarschaft zum gemeinsamen Katzenkonzert. Frau, frau , miau miau, mehrstimmig. War das eine Nacht. Am nächsten Morgen hatte Karlchen länger geschlafen. Er war ja noch müde von der aufregenden Nacht. Von seiner Frühstücksmilch hob er einen halben Becher auf, den wollte er mit Minker teilen. “Trink deine Milch aus, Minker ist nicht da, sein Napf steht noch unberührt im Hof“, sagte die Mutter. Der ist auch müde, dachte Karlchen. „Wo ist der Kater?“ die Tür der Backstube fliegt auf und der Meister ruft “Minker. Die Mäuse haben das gute Brot angefressen! Minker! Miz, Miz, Miz.“ Minker blieb verschwunden, eine ganze Woche lang. „Der kommt wieder“, tröstete die Mutter, “der ist auf Brautschau.“ Minker kam. Wie ein geschlagener Krieger humpelte er dann über den Hof. Das seidige Fell war struppig, der Bauch eingefallen und das Ohr halb abgerissen, ein Jammerbild. Molli hatte Mitleid und leckte ihn das Fell. Jacko hatte die Woche ohne den Kater genossen. Argwöhnisch sah er seine Rückkehr und beschloss ihn weiter im Auge zu behalten. Es wurde Spätsommer. Die Zugvögel begannen sich zu sammeln. Auf der Wiese vor dem Haus machten sie Flugübungen für den Abflug in den Süden. Alles war friedlich, der Meister war in der Backstube bei der Arbeit, die Mutter verkaufte im Laden und Karlchen lernte in der Schule das ABC. Und Minker lag auf der Lauer im Gras auf der Wiese. Der Kater wartete auf die Gelegenheit zu zuschlagen. Wie ein Pfeil schoss er hoch und packte den Jungvogel an der Kehle. Erschrocken flog die Vogelschar auf. Minker brachte den kleinen Vogel auf den Hof und begann mit ihm zu spielen. Er wollte ihn fressen, das war klar, aber vorher spielen. „Mörder, Mörder“, rief Jacko aus vollen Hals. Diesmal musste man ihm glauben, der Kater war ein Vogelmörder. Die Backstubentür folg auf und der Bäcker stand bewaffnet mit dem Nudelholz in der Tür. „Mörder, Mörder“, hörte er rufen. Minker ließ vor Schreck den Vogel los. Der rannte, schlug mit den Flügeln und flog davon. Gerettet. „ So einer bist du also. Mäuse und Ratten sollst du fangen und meine Backstube vor Ungeziefer freihalten. Du bist mir ein schlimmer Kater!“
Und so kam es dazu, der Kater Minker bekam eine keine Klingelglocke um den Hals. Bei jedem Schritt klingelte sie leise und alle wurden aufmerksam auf ihn, wenn er sich anschlich. Nur nachts in der Backstube, wenn er auf Mäusejagd war, lag die Glocke in einem kleinen Kästchen.
Hier endet die Geschichte von Minker.