Rumpelienchen, die kleine Hexe im Fingerhut
Nun wollte ich Euch, liebe Leser, das lustige Märchen von einer winzig kleinen, temperamentvollen Hexe mit roten Haaren, auffälligem Spitzhütchen, schnellem Besen und lustig bunten Ringelstrümpfen erzählen.
Die kleine Hexe lebte seit langer Zeit in einem alten, unscheinbaren Fingerhut.Ja, ja, ihr lieben Leser habt schon richtig gehört, in einem alten Fingerhut.Sie war so winzig klein, dass sie darin tagsüber Platz fand, aber nachts schlüpfte sie behände aus ihrer unbequemen Behausung und zeigte ihr volles Temperament.
Wieso sie ausgerechnet in einem Fingerhut ihr Dasein fristete, kann ich nicht beantworten, aber nachts war das Hexlein immer auf ihrem Zauberbesen unterwegs und darüber wollte ich Euch erzählen……
Der Fingerhut war ein kleines Teil auf einem Dreiecks-Regal in einer Dachgeschoss-Wohnung in einem alten Wohnhaus, welches schon seit vielen vielen Jahren nicht mehr renoviert worden war.
Der Mieter der Dachgeschoss-Wohnung war schon vor einigen Jahren ausgezogen und ließ einige alte Möbelstücke und Gegenstände zurück. Darunter auch das Dreiecks-Regal mit einer unscheinbaren Glasvase, einem alten Kupfer-Kerzenleuchter mit angebrannter Kerze, einen runden Bilderrahmen ohne Bild, eine verbeulte Holzdose und den kleinen Fingerhut.
In dem ungemütlichen Zimmer mit schrägen Wänden gab es noch ein einzelnes klapperiges Bett mit dem dazugehörigen ebenso alten Nachtschränkchen, ein durchgesessenes Sofa, einen alten Stuhl und an der Wand hing ein betagter fast blinder Spiegel, der auch schon mal bessere Zeiten gesehen hatte.
Auf dem schäbigen Sofa saßen verstaubt und missmutig noch drei Spielzeuge, die schon lange nicht mehr zum Spielen taugten, betagt und unansehnlich geworden waren.
Ein einst hellbrauner Teddybär, nun fleckig, nachgedunkelt und mit eingerissenem Ohr. Eine Puppe, der Armen fehlte ein Auge, nur ihr früher strahlendes goldenes Kleidchen verriet noch ein wenig von ihrer einstigen Schönheit.
Und der Dritte im Bunde war ein Kasperle. An seiner Zipfelmütze hing einmal eine hell klingende goldfarbene Schelle, die war abgerissen und ein Schuh des einstigen komischen Helden war verloren gegangen, so dass der Arme zu den anderen Beiden passte und sich die unglücklichen Drei gegenseitig nichts vorzuwerfen hatten.
In dieser traurigen Umgebung wohnte nun die winzig kleine Hexe, nennen wir sie Rumpelienchen, denn sie war sehr unruhig und temperamentvoll nachts von Mitternacht bis Ein Uhr früh. Da verließ sie nämlich regelmäßig ihren Fingerhut, wurde dreifach so groß und sauste vergnügt mit ihrem Zauberbesen regelmäßig durch die Dachwohnung zum Ärgernis der anderen drei Bewohner.
Rumpelienchen war eigentlich ganz ansehnlich, wenn sie um Mitternacht größer wurde, aber Gespött und böses Flüstern hinter ihrem Rücken waren ihr sicher, nachdem sie auch nach Mitternacht immer noch ziemlich klein blieb. „Außerdem könnte sie doch gar nicht zaubern,“ brummte missmutig der alte Teddy ...“ sonst hätte sie längst den ungemütlichen Fingerhut endgültig verlassen und sich in ihrem Aussehen vergrößert und verschönt ...“ Eifriges zustimmendes Nicken der beiden anderen Spielzeuge bestätigten Teddy´s Kritik.Ihr Zauberhütchen war spitz, ihre Strümpfe geringelt, ihre flatternden Haare leuchtend rot, ihr Besen immer in Bewegung und unruhig. Wenn die kleine Zauberin nicht grün im Gesicht gewesen wäre, hätte man die Kleine sogar als ganz hübsch bezeichnen können.Aber wer kann denn schon hübsch sein, wenn er ein grünes Gesicht hat?
Deshalb spotteten auch ihre Mitbewohner und nannten sie nicht Rumpelienchen sondern „Die kleine Grüne“… was die winzige Hexe gar nicht gerne hörte.
So kam es, dass jede Nacht um Mitternacht das große Sausen von Rumpelienchen auf ihrem Zauberbesen durch die Dachstube zu hören war und jede Nacht das Schimpfen von Teddy, Puppe und Kasperle auf den Fuß folgte.
Die Drei überlegten und berieten im Stillen, wie man diese lästige Person, die kleine Grüne, nicht doch früher oder später loswerden könnte. „Diese ständige Unruhe jede Nacht wäre auf Dauer doch nicht auszuhalten,“… so Teddy mit brummiger tiefer ungehaltener Stimme.
Rumpelienchen kicherte dann ausgiebig und trampelte mit ihren knallroten kleinen Schuhen noch lauter über das Nachtkästchen, bevor sie sich wieder auf ihren unruhigen Besen schwang und weiter durch das Zimmer sauste knapp an Teddys und Kasperles müden Augen vorbei …
Wie gerne wäre sie mit ihrem Zauberbesen mal weitere Strecken geflogen, aber die Türe zum Flur war geschlossen und die beiden kleinen Fenster in der Schrägung ebenso.
Die Hexe dachte ...“ wenn ich es einmal schaffe, ein Fenster zu öffnen, dann fliege ich über die Dächer der Stadt ganz weit weit weg und werde mir ein neues Zuhause suchen. Der Fingerhut ist doch zu eng und zu klein für mich. Ich habe wirklich Besseres verdient.“
Sie war zwar eine Hexe, aber sie hatte nicht so viel Macht und Zauberkräfte, um durch geschlossene Türen und Wände, Fenster, Dächer und Häuser zu fliegen. Manchmal ärgerte sie diese Tatsache schrecklich, aber nachdem sie so winzig war, hatte das auch niemand von ihr erwartet.
Deswegen genoss sie es auch in vollen Zügen, immer um Mitternacht ein wenig größer zu werden und wenn es nur für eine Stunde war.
Teddy, Puppe und Kasperle waren auch nicht in der Lage, Türe oder Fenster zu öffnen, um den kleinen Störenfried nun endlich los zu werden und so war der Ärger, jede Nacht um Mitternacht, vorherzusehen.
Und je mehr sich die alten Spielzeuge ärgerten und schimpften, umso temperamentvoller und frecher wurde Rumpelienchen. Sie freute sich diebisch und zischte wild aufgeregt und mit Ausdauer durch die Dachkammer.Eines Nachts kam es aber dann doch ganz anders!
Es war Herbst geworden und das Wetter wurde sehr unfreundlich, stürmisch und feucht. In einer dieser Nächte kam ein schrecklicher Sturm auf, der unruhig, ausdauernd und ungeduldig an Türen, Fenstern, Schornsteinen und Dachziegeln rüttelte und schüttelte.So auch an den Dachkammer-Fenstern der kleinen Hexen-Stube.Die Geisterstunde war fast vorbei, die nahe Kirchturmuhr wollte in kürze Ein Uhr schlagen, da wurde das Fenster der Geister-Hexen-Stube aufgerissen und ein stürmischer Windstoß fegte durchs Dachkämmerchen.
Die kleine Hexe war nicht darauf gefasst und wurde mit dem kräftigen Windstoß durch das nunmehr offene Fenster geweht, taumelnd durch die Luft gewirbelt und blieb kläglich an einer weit vorstehenden Dachrinne hängen und zappelte dort oben nun hilflos hin und her.
Nun schlug es dröhnend Ein Uhr und die kleine Hexe wurde in diesem Augenblick wieder winzig und konnte den Naturgewalten nichts mehr entgegensetzen.
Sturm und Regen waren ausgiebig und kräftig, so dass Rumpelienchen Hören und Sehen verging und sie leise jammernd, an ihrem Hexenkleidchen festgehakt, hin und her schaukelte in schwindelnder Höhe und Angst haben musste, ihren Hexenbesen und ihr Spitzhütchen zu verlieren.
Doch wie in jeder stürmischen Nacht, waren auch in dieser die Fledermäuse unterwegs.Mit ihren großen schwarzen Schwingen glitten sie majestätisch durch die Dunkelheit, waren auf Nahrungssuche und ließen sich von den starken Windböen hoch in die Lüfte tragen ohne einen weiteren Flügelschlag, die gespenstischen stolzen Vögel der Nacht. Eine junge flinke Fledermaus hatte das leise Jammern der winzigen Hexe vernommen, flog neugierig heran, hängte sich an den nahen Schornstein und beäugte ganz interessiert das Hexlein, welches strampelte und strampelte, aber nicht mehr von der Stelle kam.
Ihr langes schwarzes Hexenkleidchen hatte sich in der Dach-Regenrinne schwerwiegend verhakt und alle Versuche freizukommen, waren bisher vergebens geblieben.„He, du winzige Hexenmeisterin, warum kannst du dich denn nicht befreien? Ich dachte immer, Hexen können zaubern?“ flötete die junge Fledermaus, mit ihrem klugen Köpfchen nach unten hängend, rüber zu Rumpelienchen.
„Kleine Fledermaus, wenn du mich befreist, dann lasse ich dich mit auf meinem Zauberbesen reiten“ rief die Winzige und wurde wieder von einer Windböe geschüttelt.
„Ich kann doch viel besser fliegen als du“ tönte die kleine Fledermaus …“ ... aber ich werde das festgeklemmte Kleiderzipfelchen durchbeißen, damit Du wieder fliegen kannst, und wenn es nur mit deinem Hexenbesen ist …“Und so geschah es dann auch!
So flogen die kleine Fledermaus und Rumpelienchen in die stürmische Nacht hinaus und jeder der beiden versuchte, schneller, flinker und wendiger zu sein.Die Beiden hatten ihren Spaß und flogen höher und immer höher, weiter und weiter in die ungestüme, windige und tiefe Dunkelheit hinein und die kleine Hexe immer weiter ab von ihrem Zuhause, dem kleinen Fingerhut. Sie wurde dort auch nie wieder gesehen.
Jetzt fragt ihr lieben Leser sicherlich, was aus den drei Zurückgebliebenen, Teddy, der Puppe und Kasperle geworden war.
Einige Tage nach dieser stürmischen Nacht kam der Hausmeister mit einem Neumieter in die kleine Dachwohnung. Der junge Mann war Student und suchte eine preiswerte Wohnung, aber das Gerümpel – wie er sich ausdrückte – und die wertlosen Spielzeuge -wollte er nicht übernehmen. Der Hausmeister sollte für baldigen Abtransport dieser unbrauchbaren Utensilien sorgen.
Jetzt beneideten die Drei, Teddy, Puppe und Kasperle die winzige Hexe, die rechtzeitig ihren angestammten Platz verlassen hatte, denn die Zukunft der traurigen Drei war nun sehr ungewiss und trostlos.
Wer wollte denn schon einen alten Teddy mit eingerissenem Ohr, eine betagte angestaubte Puppe mit einem Auge und einen Kasperle, der nicht mehr fröhlich sein wollte ohne Schelle und mit nur einem Schuh? Den kleinen Fingerhut aber, den hatte der junge Mann interessant gefunden und als Souvenir behalten. Ob allerdings Rumpelienchen wieder in ihr altes Zuhause, den kleinen Fingerhut, zurückgekehrt ist und um Mitternacht wieder frech herumspukt, diese Frage kann ich euch, liebe Leser, leider nicht beantworten.
Vielleicht ist die winzige Hexe in Mutter´s Fingerhut umgezogen, guckt doch mal nach!