Holunderjagd
Na Ihr? Kommt ruhig rein, heut gibt’s mal was Spannendes. Wie ihr glaubt das nicht, dass es in der Küche spannend zugehen kann? Da kann ich aber wirklich nur lachen und sagen ihr habt wirklich keine Ahnung. Nein, mir ist nicht der Wasserkessel explodiert. Kommt erstmal rein und setzt euch heute mal hin, ich werde euch einen Küchenkrimi erzählen. Alsoooo …
Als mein Jagdtrieb seinen Höhepunkt erreichte, also heute, ergriff ich meine älteste Jeans und ein Shirt, dass auch schon bessere Tage gesehen hatte, und verkleidete mich. Mit einem Band knotete ich meine Haare zu einem Pferdeschwanz nach oben, suchte mir zwei Plastiktüten und bewaffnete mich mit einer scharfen Schere. Jetzt noch die Turnschuhe an die Füße und los geht’s. Vorsichtig betrat ich den unebenen Waldboden und meine Augen spähten nach der ersehnten Beute. Was aber musste ich sehen? Das, was ich mir so sehr wünschte, hing ja viel zu hoch für mich, unerreichbar hoch. Nur ein paar kleine winzige Dolden waren erreichbar für mich und fielen sofort meiner scharfen Schere zum Opfer. „Warum habe ich nur nie gelernt auf Stelzen zu laufen?“ ging es mir durch den Kopf. Verzweifelt schaute ich in meine Tüte, grade der Boden war bedeckt. Meine Gedanken suchten nach einer Idee, wo ich denn noch suchen sollte. Plötzlich fiel mir eine Stelle ein, zwar weiter entfernt, an der ich diese ersehnten Sträucher schon einmal bemerkt hatte.
Zügig wanderte ich dorthin und dann sah ich ihn, den Wahnsinnsbusch. Dunkel und schwer hing er voll mit den ersehnten Früchten. Aber, oh Schreck, er war umzingelt mit Hochaufgerichteten dunkelgrünen Brenn-Nesseln, die mir drohend ihre brennenden Blätter entgegen streckten. „Was mach ich jetzt?“ dachte ich, „aufgeben? Nie und nimmer, nicht mit mir“. Mutig schritt ich zur Tat und biss die Zähne zusammen. Brenn-Nesseln sollen ja gut gegen Rheuma sein, hab ich mal gelesen, jetzt werde ich wahrscheinlich nie welches bekommen. Als sich meine Tüte bis oben hin füllte, vergaß ich all meinen Schmerz. Meine Jagd war beendet, ich konnte mit meiner Beute nach Hause gehen.
Na, was sagt ihr? Ist das spannend oder nicht? Wenn ihr euch auch dieser Gefahr und diesem Abenteuer aussetzen wollt, dann habt ihr am Ende eine wunderbare Holundermarmelade. Zu kaufen gibt’s die nicht, darum ist sie eben einmalig und auch wertvoll. Abgeben werde ich von dieser Köstlichkeit nur meinem geliebten Menschen, andere müssen eben davon träumen. Jetzt wollt ihr noch wissen, wie das geht? Erstmal sichert eure Küche, alles was farbempfindlich ist wegräumen. Holunderbeerflecken gehen nicht mehr raus, auf keinen Fall. Dann die ganzen Dolden ins Wasser und natürlich waschen, aber vorsichtig, damit der Saft nicht schon raus läuft. Mit einer Gabel streift man die Beeren von den Dolden in einen großen Topf, und nun kommt wieder einer von Omas Tricks. Wenn man keinen Entsafter hat, dann stellet man die Beeren auf die Kochplatte, aber nur auf die kleinste Stufe, nur so, dass sie platzen. Jetzt brauchen wir ein Haarsieb und passieren solange die Masse dadurch, bis nur noch die Haut und die Kerne über bleiben. Holunder ist übrigens das Einzige, was ich entsafte, aber die Haut schmeckt wirklich nicht, ist hart und ungenießbar. Man braucht also einen Liter Saft für ein Paket Gelierzucker. Ich habe es gerade geschafft mit einer großen Tüte voll Beeren. Sollte es mal nicht reichen, dann könnte man Birnen dazu nehmen, das schmeckt auch, aber pur ist der Holunder natürlich am besten. Ich füge immer noch den Saft von einer Zitrone dazu, dann geliert es besser und die Marmelade hat irgendwie noch einen besonderen Klick. Beim Aufkochen bitte niemals den Herd verlassen, verträumt rühren dürft ihr ruhig, das mache ich auch und denke an den, den ich liebe und ob ihm das wohl schmeckt, was ich da koche. Nur wenn ihr weggeht und es kocht über, könnt ihr die Küche renovieren, oder besser gleich umziehen, weil, wie gesagt diese Flecken unauslöschbar sind.
Was sagt ihr nun? Reizt es euch, das mal nachzumachen? Dann beeilt euch aber, Holunder gibt’s nicht mehr lange. Also ich bin richtig stolz, dass meine Holundermarmelade im Glas ist, eine ganz besondere Köstlichkeit.
So, heute durftet ihr aber lange hier bleiben, jetzt aber husch husch raus mit euch. Bis zum nächsten Mal sag ich einfach.
Tschüssiiii