Der Osterhasen Streik
Zweidreiviertel Tage, ganz am Rande der sechseinviertelsten Osterinsel, gibt es einen großen Hügel mit einem riesigen Osterglockenbaum, der um diese Jahreszeit immer in voller Blüte steht.
Dahinter steht das Bürgermeisteramt der Osterhasen.
Heute um die Mittagszeit waren alle Hasen zu einer außerplanmäßigen Betriebsversammlung einberufen.
Aus allen Himmelsrichtungen und von allen Osterinseln strömten die Osterhasen herbei, ganz neugierig, was es denn so kurz vor dem Fest der Feste zu besprechen gäbe. Es musste schon sehr wichtig sein, denn der Osterhasen-Bürgermeister hatte persönlich diese Versammlung einberufen.
Der große Saal war bis auf den letzten Platz besetzt, große Hasen, kleine Hasen, Hasenmädchen und Hasenjungen waren versammelt und ein eifriges Wispern und unruhiges Hoppeln ging durch den ganzen Saal.
Auch die älteren Osterhasen, man erkannte sie an den ergrauten Ohrenspitzen, waren erschienen, um zu erfahren, was der Bürgermeister zu verkünden hatte.
Eine große Tür öffnete sich, und der Osterhasen-Bürgermeister betrat den Saal. Freundlich grüßend verneigte er sich nach allen Seiten, um seine ganze Osterhasen-Gemeinde zu begrüßen.
Als er das Podium erreicht hatte, neigt er seinen Kopf mit den langen Ohren, um noch einmal auf seinen Zettel mit der Rede zu schauen.
Seine dunkelgraue Weste war mit glänzenden Knöpfen besetzt, und heute, zu diesem wohl sehr wichtigen Anlass, trug er eine dunkelgrüne Krawatte mit einem kunstvoll gebundenen Knoten.
Er hob den Kopf und begann mit seiner Rede, mit sehr ernstem Gesichtsausdruck und abgeknickten Ohrenspitzen, was immer als ein sehr ernstes Zeichen zu betrachten war.
„Meine lieben Häsinnen und Hasen, liebe Kinder“, räuspert er sich noch einmal. „ich habe euch alle heute hierher gerufen, weil es schon seit einigen Jahren sehr viele Beschwerden gibt, Beschwerden die sich von Jahr zu Jahr immer mehr häufen. Und jetzt ist es soweit, dass einfach nicht mehr geschwiegen werden kann, wir müssen unbedingt etwas tun, um die Situation wieder zu verbessern, für alle von uns.“
Ein Raunen und Wispern ging durch den großen Saal, manche Hasen zucken mit den Schultern und schauen sich fragend an, aber einige nicken auch wie zur Bestätigung mit den Köpfen, so dass die langen Ohren ordentlich in Bewegung gerieten.
Der Bürgermeister wendete ein Blatt, der vor ihm liegenden Rede, und er setzt seine Ansprache fort. „Es liegen mir unzählige Beschwerden vor, dass einige meiner Hasen mit der Auslieferung der Osterüberraschungen total überfordert werden.“ Sehr ernst schaut er in die Runde.
„Traditionsgemäß werden am Ostersonntag von uns Osterhasen bunte Ostereier, Schokoladenostereier und andere Naschereien für die Kinder in Körbchen gelegt und dann so gut wie wir es vermögen, unter Bäumen und Büschen versteckt. Ist kein Garten vorhanden, sagt es unsere Tradition, dass wir die Ostergeschenke auch in einer Wohnung verstecken können, damit Kinder ohne Garten nicht benachteiligt werden.“
Im Saal wurden die Köpfe zusammen gesteckt, es wurde getuschelt und geflüstert, aber dann schauten wieder alle Hasen neugierig auf das Rednerpult, um zu hören, was der Bürgermeister zu verkünden hatte.
„Es begann bereits vor einigen Jahren“, sprach der Bürgermeister weiter, „die Wünsche für die Osterüberraschungen wurden größer und größer, und unsere Osterhasen mussten schwere Pakete und Gegenstände tragen und abliefern. Damit wurden sie aber überfordert, und die Verletzungen der empfindlichen Pfoten und Hasenrücken nahmen immer mehr zu.“
Jetzt war sein Gesicht mit kummervollen Falten bedeckt und er schaute in die Runde seiner fleißigen Osterhasen.
„Wir werden heute nach einer Lösung suchen müssen, denn so kann es nicht weiter gehen. Einige meiner armen Osterhasen sind dauerhaft hoppel- und springunfähig, sie werden nie mehr fröhlich auf einer grünen Wiese herum springen können.“
In der großen Menge der Hasenversammlung streckte sich eine Hasenpfote nach oben, und ein bunt gekleidetes Hasenmädchen stand auf und meldete sich zu Wort.
„Ja, das stimmt, lieber Bürgermeister, „der Transport der kantigen Pakete ist wirklich gefährlich. Schau dir bitte mein rechtes Ohr an, ich habe es mir im vorigen Jahr so schwer geknickt, dass ich es nie mehr wieder ganz aufrichten kann“, sagte die kleine Häsin ganz betrübt.
Alle schauten zu der verletzten Osterhäsin und alle konnten das geknickte und verletzte Ohr jetzt sehen.
Empörung machte sich breit in dem großen Saal und immer mehr Osterhasen meldeten sich jetzt und erzählten von Schmerzen und Verletzungen, die sie erlitten hatten.
„Seht ihr, meine lieben Hasen“, sprach jetzt der Bürgermeister weiter, „das ist es, was ich meine, so kann das nicht weiter gehen. Wir müssen nach einer Lösung suchen, damit das aufhört.“
Jetzt erhob sich unten in der Menge ein großer schlanker Hase, und alle erkannten den Oberlehrer der Hasenschule von der sechseinviertelsten Osterinsel.
Er hoppelte nach vorne zum Rednerpult und bat den Bürgermeister darum, ein paar Worte sagen zu dürfen. Der trat beiseite und machte Platz für den beliebten Lehrer.
„Liebe Häsinnen, Hasen und liebe Hasenkinder“, ergriff der Hasenlehrer das Wort. „Es stimmt, es stimmt leider nur zu genau, was unser Bürgermeister zu berichten hatte.
Ich habe die Aufgabe, unsere Hasenkinder auf ihr Leben als Osterhasen vorzubereiten. Ich erkläre ihnen, wie sie die süßen bunten Sachen für die Kinder zum Osterfest verstecken dürfen. Wie sie die, von vielen Helfern bunt angemalten Ostereier in die Osternester legen, und dem Osterfest die bunten Farben und die Fröhlichkeit bringen sollen.“
Jetzt begann er ärgerlich mit seiner Pfote auf das Rednerpult zu klopfen, „das ist aber nicht mehr die Wahrheit, und ich bin sehr ärgerlich, dass ich unsere Kinder in eine derartige Gefahr schicken soll. Unsere Traditionen werden mit allen Pfoten getreten, das müssen wir ganz dringend ändern.“
Er trat vom Rednerpult zurück und hoppelte wieder zurück zu seinem Platz in dem großen Saal.
Der Osterhasen-Bürgermeister trat zurück an das Rednerpult. Er schob mit seiner rechten Pfote die dunkelgrüne Krawatte zurecht und dann sprach er weiter.
„Ihr habt es also gerade gehört, die Sache ist sehr ernst. Und nun frage ich euch, was sollen wir machen?“ Seine Blicke gingen fragend in die Runde. „Wie wäre es, wenn wir über einen Streik abstimmen? Wir könnten das Osterfest in diesem Jahr einfach einmal ausfallen lassen, was meint ihr?“
Jetzt gab es in dem großen Saal ein heftiges Diskutieren. Hasen sprangen auf und setzten sich wieder. Die vielen langen Ohren erschienen wie ein Kornfeld im Wind, so wogten sie vor lauter Aufregung hin und her.
Alle redeten durcheinander, die Hasen, die Häsinnen und die vielen quirligen Hasenkinder.
Bis sich eine Stimme durch setzte, sie gehörte einer alten und weisen Osterhäsin. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und hoppelte langsam nach vorne zum Rednerpult.
Sie war schon in die Jahre gekommen, denn ihre Ohren waren schon ganz grau und auch ihre Nase hatte bereits einen silbernen Glanz. Weil ihre Augen nicht mehr so gut waren, trug sie eine Brille, über deren Rand sie jetzt in die Runde blickte.
„Meine Lieben“, sagte sie mit ruhiger Stimme. “Wir wollen doch nicht gleich zu solchen Mitteln greifen. Denkt doch mal an die Kinder, die dann ganz traurig wären, weil sie keine bunten Ostereier mehr bekommen. Denkt doch mal an euch, denn euch macht es doch auch so viel Freude, vergnügt in den Gärten herum zu hoppeln.“
Mit ihren Pfoten strich sie über ihre bunte Kittelschürze und schaute sanftmütig in die Runde der aufgeregten Osterhasen.
„Glaubt es mir, meine Lieben, es ist nicht die Schuld der Kinder, dass es diese schweren Pakete gibt. Dafür sind Andere verantwortlich. Diese Kinder werden beeinflusst. Wenn man ständig zu hören bekommt, dass man dies und das und jenes braucht um glücklich zu sein, dann glaubt man das auch irgendwann.“
Mit ihren gütigen Augen schaute sie wieder über den Brillenrand, „wir wollen doch unsere uralte Ostertradition nicht aufgeben, oder?“ sie schmunzelte und wackelte ganz keck mit ihrem rechten Ohr.
„Es gibt so viele Kinder, aber auch Erwachsene, die dann furchtbar traurig wären. Und wir? Wir wären doch auch traurig, oder? Was haltet ihr davon, wenn wir abstimmen würden?
Sollen wir streiken, oder geben wir dem Osterfest noch eine Chance?“
Erwartungsvoll schaute sie in die Runde der vielen Osterhasen im Saal. „Ja, lass uns abstimmen“ ertönte die erste Stimme. „Ja wir stimmen einfach ab“ rief der Nächste. „Wir wollen wissen, was die anderen dazu sagen.“
Jetzt trat der Bürgermeister wieder an sein Rednerpult. „Also meine lieben Hasen und Häsinnen, lasst uns abstimmen. Wer für einen Streik ist, stehe bitte auf und hebe seine Pfote.“
Stühle wurden gerückt, und einige Osterhasen erhoben sich und streckten eine Pfote in die Luft. „Jetzt die Gegenprobe“, sagte der Bürgermeister, „wer will, dass das Osterfest in diesem Jahr traditionsgemäß statt findet, der stehe jetzt bitte auf.“
Jetzt rückten viele Stühle, und die meisten der Osterhasen erhoben sich von den Plätzen und hoben ihre Pfote hoch.
„Das ist die eindeutige Mehrheit, meine lieben Hasen, die Abstimmung ist sehr klar ausgefallen. Ihr wollt also, dass Ostern statt findet. Und so soll es auch sein. Wir werden aber weiter sehr achtsam bleiben. Wir sind schließlich Osterhasen und keine Lastenträger. Und bevor alle meine Hasen krank werden, werden wir wirklich doch noch streiken. Seid ihr alle einverstanden?“
Jetzt erhoben sich alle Osterhasen von ihren Plätzen und klatschten begeistert Beifall.
„Ja, wir sind einverstanden,“ riefen sie im Chor, „wir freuen uns doch auch auf das fröhliche Osterfest, ein Streik wäre doch eigentlich ganz schrecklich.“
Und der kleine Hase Hoppel beugte sich zu seinem Freund, dem kleinen Häschen Filipi und flüsterte ihm in sein langes Ohr, „Und ich werde dir tragen helfen, wenn es für dich alleine zu schwer ist.“
Jetzt kehrte wieder Frieden ein im Bürgermeisterhaus auf der sechseinviertelsten Osterinsel. Die Osterhäsinnen, die Osterhasen und alle kleinen Osterhäschen liefen davon in alle Richtungen auf alle Osterinseln, um eifrig mit ihren Ostervorbereitungen weiter zu machen.