Wolkenkuckuckshausen
Ein wenig traurig saß ich auf einem großen dicken Stein, der am Rande einer Lichtung lag.
Am meinen Zehen kitzelte mich das noch immer etwas nasse Gras. Eine dicke graue Wolke hatte ein wenig Regen auf die Erde geschickt und am Horizont konnte man sie auch immer noch sehen.
Fast spürte ich es nicht, dass mich etwas an meiner Hose zupfte. Erst als das Zupfen energischer wurde, schaute ich nach unten. Ein lustiger Wichtel mit feuerroten Haaren schaute mich an und ein freundliches Lächeln zog über sein lustiges Gesicht.
"Bist du etwa traurig?" fragte er mich mit seiner hellen Stimme.
Ich musste zuerst einmal mein Staunen und meine Verwunderung verdauen, bevor ich antworten konnte. "Ja, ein bisschen schon", antwortete ich etwas zögernd, denn noch immer dachte ich, dass ich vielleicht träume.
"Und warum? Warum bist du denn ein bisschen traurig?" fragte er mich natürlich.
"Ach weißt du", erwiderte ich, "das kann ich dir noch nicht einmal ganz genau sagen". Ich beugte mich ein wenig herunter, damit ich diesen lustigen Wichtel besser betrachten konnte.
"ich habe so eine kleine Traurigkeit in meinem Herzen, sie war einfach da, und ich weiß gar nicht warum", sagte ich. Aber schon als ich es aussprach bemerkte ich, dass sich diese kleine Traurigkeit davon gemacht hatte, beim Anblick dieses freundlichen und lustigen Wichtelgesichtes.
Der Kleine stemmte seine kleinen Arme in seine Hüften, legte seinen Kopf auf die Seite und schaute mich ganz schelmisch an. "Ach, das kenne ich, das geht mir auch manchmal so. Manchmal hilft es dann schon, wenn man mit Jemandem reden kann, oder nicht ?"
"Ja, du hast Recht", pflichtete ich ihm bei. "Ich setze mich dann auch oft hier hin und beobachte die Wolken, wie sie am Himmel umher ziehen. Und ich frage mich dann, wohin sie wohl ziehen".
Lächeln sprach ich weiter, "schau mal diese dicke dunkle Wolke dort am Horizont, sie hat mich gerade noch nass geregnet, und nun frage ich mich, was sie jetzt wohl macht".
"Willst du das wirklich einmal wissen?" fragte der kleine Wichtel. Möchtest du einmal sehen, wo die Wolken wohnen und wo sie zuhause sind?" Er lächelte mich spitzbübisch an.
Erstaunt schaute ich ihn an, "du willst mir also wirklich erzählen, dass alle die Wolken, die großen und auch die kleinen ein Zuhause haben? Meinst du das im Ernst?"
"Klar meine ich das ernst, sie wohnen alle in Wolkenkuckuckshausen, würdest du dort gerne einmal hingehen ?" Er schaute mich ganz ernsthaft an und ich begann ganz langsam ihm diese abenteuerliche Geschichte zu glauben.
"Klar, würde ich dort gerne einmal hingehen, aber ich weiß absolut nicht, wo das sein sollte".
Immer noch ein wenig zweifelnd schaute ich ihn erwartungsvoll an.
"Gut, dann werde ich es dir zeigen, lass mich auf deiner Schulter sitzen, dann können wir beide den Weg schneller schaffen", antwortete er jetzt ganz unternehmungslustig.
Ich hielt ihm meine Hand hin und er kletterte ganz geschwind auf meinen Arm. Dann begann er den Aufstieg zu meiner Schulter. Ich musste mir ein Lachen verkneifen, denn das fühlte sich an, als ob eine kleine Katze an mir empor kletterte.
Als der kleine Wicht ganz bequem auf meiner Schulter Platz genommen hatte, machten wir uns auf den Weg, den er mir erklärte.
Wir liefen über die große Wiese, dann durchquerten wir ein Stück Wald bis vor uns ein großer See auftauchte.
Plötzlich wurde der Kleine ganz unruhig auf meiner Schulter und sprang ungeduldig umher.
"Dort, siehst du ihn, kannst du ihn sehen, den großen bunten Regenbogen, genau über dem See?" rief er ganz aufgeregt.
"Natürlich kann ich ihn sehen, der ist ja so wunderschön und ganz bunt", antwortete ich, und seine Aufregung steckte mich jetzt auch an.
"Zum Ende des Regenbogens müssen wir jetzt gehen, dort wo sein Ende die Erde berührt", rief er. "Lauf ein wenig schneller, damit er nicht verschwindet, bevor wir dort sind".
Ich lief so schnell ich nur konnte, aber trotzdem immer ein wenig vorsichtig, denn ich wollte ja nicht, dass der kleine Wichtel vielleicht herunter purzelte.
Ein wenig außer Atem kamen wir zu der Stelle, wo das Ende des Regenbogens die Erde berührte.
"Jetzt musst du mich hier kurz herunter lassen", sagte der Wichtel lächelnd.
Das machte ich natürlich auch sofort und ich war schrecklich neugierig, was nun geschehen würde.
Der kleine Kerl fasste in seine winzige Hosentasche und zog etwas heraus und streute es auf die Erde, dort wo der Regenbogen die Erde berührte. Es glitzerte und schimmerte in allen Farben, es schien ein ganz besonderes Pulver zu sein.
Plötzlich, und ich traute meinen Augen nicht, verformte sich der riesige Regenbogen zu einer Brücke. Es entstanden Stufen, wo vorher keine waren. Und diese Stufen hatten sogar ein bunt schillerndes Geländer.
"Jetzt lasse mich wieder auf deine Schulter, und dann lass uns gehen", sagte der Wichtel.
Mir stockte fast der Atem, "du meinst, wir sollen jetzt über den Regenbogen klettern?" fragte ich ungläubig. "Wird der uns auch tragen können, uns alle Beide?"
"Hast du etwa Angst?" fragte mich der Kleine, "hast du kein Vertrauen zu mir? Ich denke, du möchtest gerne nach Wolkenkuckuckshausen. Das ist der einzige Weg dorthin".
Mein Herz klopfte in meiner Brust, ein wenig Angst hatte ich schon, aber meine Neugierde war natürlich größer. Jetzt wollte ich auch unbedingt erfahren, was auf der anderen Seite des Regenbogens war.
Ich hielt dem Wichtel wieder meine Hand entgegen und ließ ihn auf meine Schulter klettern. "Ich habe Vertrauen zu dir, komm lass uns gehen", sagte ich.
Ganz vorsichtig setzte ich meinen Fuß auf die erste Stufe des Regenbogens, es fühlte sich watteweich an, aber mein Fuß stand ganz sicher. Meine Hand tastete nach dem glitzernden Geländer, auch das war ganz weich.
Höher und höher stieg ich mit dem kleinen lustigen Wichtel auf meiner Schulter. Der frische Wind pustete um meine Nase und je höher ich kam, umso wohler und sicherer fühlte ich mich.
Die Angst aus meinem Herzen war verschwunden und ich fühlte nur das große Glück, dass ich so etwas erleben durfte.
"Jetzt sind wir gleich da", flüstere der Kleine in mein Ohr, "nur noch ein paar Stufen, dann sind wir am Ziel."
Und wirklich, dann sah ich sie vor mir, diese traumhafte Landschaft mit Wiesen, großen Bäumen und vielen bunten Blumen.
"Und hier wohnen alle Wolken?" flüstere ich zu dem kleinen Wichtel. "Ja, hier wohnen sie alle, du wirst sie gleich sehen können", antwortete er.
Als ich etwas genauer hinschaute, sah ich schon die ersten Wolken. Die kleinen Schäfchenwolken, sie grasten auf der Wiese, so als ob es echte Schäfchen wären. Man hörte sie ganz leise kichern, sie schienen sich dort auf der Wiese sehr glücklich zu fühlen.
"Schau mal dort oben in den großen Baum", sagte der Wichtel zu mir, und ich erhob den Blick.
Hoch oben in den Ästen thronte eine große dunkle Wolke, sie schien auf mich herab zu schauen.
"Das könnte die Wolke sein, die dich vorhin nass geregnet hat", sagte der Wichtel lachend, "das ist nämlich eine Regenwolke, sie hat immer noch genug Wasser in ihrem Bauch".
"Ja, du hast Recht", antwortete ich. "Meinst du sie kann uns hören?"
Ich hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, da hörte ich die Stimme der großen dunklen Wolke, sie hörte sich rau, aber nicht unfreundlich an.
"Natürlich kann ich euch hören", sagte sie. Und beim Sprechen tropfe noch immer Wasser aus ihren Wolkenrändern.
"Sag mal, kenne ich dich nicht, hast du nicht vorhin auf dem dicken Stein am Rande der Lichtung gesessen?" fragte sie.
"Ja, das war ich", antwortete ich lachend, "und du hast mich ganz schön nass gemacht.
Die große Wolke lachte auch, und ihr Lachen hörte sich wie ein Glucksen an. "Ja, so ist das mit uns großen Regenwolken. Es ist aber unsere Arbeit das Wasser auf der Erde zu verteilen", sie gluckste schon wieder ziemlich laut.
"Ich weiß genau, dass wir nicht sehr beliebt sind, eigentlich können uns die meisten Menschen nicht besonders gut leiden. Aber sie würden sich ganz schön wundern, wenn es uns nicht gäbe".
Es schien so, als ob sie sich jetzt ganz besonders dick aufplusterte,
"wenn es uns nicht gäbe, würde aus der ganzen Welt eine Wüste werden, alles würde verdorren und vertrocknen". Jetzt weinte sie dicke und große Tränen.
Ich schaute lächelnd zu ihr hoch, "ich weiß, ich weiß. Manchmal ist es ja auch sehr wichtig, dass es regnet. Ich bin dir auch nicht böse, wirklich nicht, du brauchst wirklich nicht mehr weinen". Ich winkte ihr noch einmal zu und dann schaute ich nach, wo wohl der kleine Wichtel geblieben war.
Ich entdeckte ihn auf der großen Wiese, wo er ganz vergnügt mit den kleinen Schäfchenwolken spielte.
Ich lächelte, als ich dieses schöne Spiel beobachtete.
"Magst du jetzt noch sehen, wo eine große dunkle Gewitterwolke wohnt?" fragte mich der Wichtel, "oder hast du etwa Angst davor?"
"Nein, ich habe keine Angst vor Gewittern nur Respekt", antwortete ich. "Ja zeige mir nur, wo eine Gewitterwolke wohnt, da bin ich sehr neugierig".
Ich hielt dem Wichtel wieder meine Hand entgegen, damit er auf meine Schulter klettern konnte.
"Wir müssen dort entlang, hinter die Reihe mit den großen Bäumen. Dort ist eine große Höhle, darin wohnt eine Gewitterwolke", sagte der Wichtel, als er wieder auf meiner Schulter angelangt war.
Und wirklich, hinter den Wolken tat sich eine riesige große Höhle vor uns auf, den Eingang konnte man sehen, aber dahinter war alles stockdunkel.
"Halloooo, halloooo, ist jemand zuhause?" rief der Wichtel ganz laut, als wir vor dem Eingang standen.
Man hörte ein Grummeln und ein Brausen, und dann schob sich etwas unheimlich Dunkles nach vorne zum Eingang der Höhle.
"Wer stört mich hier und ruft nach mir?" brauste es aus der Tiefe. "Werde ich gerufen, weil jemand meinen Sturm und meine Blitze benötigt?" Die dicke Wolke schaute jetzt verschlafen aus der Höhle heraus.
"Nein, nein," beeilte sich der Wichtel zu rufen, "ich habe nur jemanden mitgebracht, der dich gerne einmal kennen lernen möchte."
Jetzt kam die Wolke ganz aus der Höhle heraus und sie sah aus wie ein riesiger Amboss. Sie richtete sich zu ihrer ganzen beeindruckenden Größe auf und schaute mich an.
"Eine Besucherin in Wolkenkuckuckshausen, schau an, schau an. Warum bist du her gekommen? Hat dich die Neugier hier hin geführt?" Sie kam mir immer näher, und ich konnte ihren feuchten Atem auf meinem Gesicht spüren.
"Ja, auch Neugier, das gebe ich zu", sagte ich, "aber ich wollte zu gerne wissen, wo ihr immer hinzieht, wenn ich euch am Himmel beobachte", und jetzt habe ich hier so viel über euch gelernt", sagte ich lächelnd.
"Hast du denn keine Angst vor mir?" fragte mich die dunkle Gewitterwolke, "fast alle Menschen haben Angst vor mir, und sie rennen und flüchten, wenn sie mich am Himmel erblicken".
Sie schaute mich an und ich konnte kleine Blitze in ihrem Inneren entdecken.
"Doch, doch, ein wenig Angst habe ich schon manchmal, wenn ein Gewitter sehr heftig ist. Und ich habe viel Respekt vor der Kraft, die du hast", gab ich kleinlaut zu. "Aber eine Frage hätte ich doch noch an dich", fuhr ich fort, "warum versteckst du dich eigentlich hier in dieser großen Höhle? Hast du vielleicht auch Angst?" frage ich schelmisch.
Ein lautes Grollen ertönte jetzt, ich glaube die große Gewitterwolke wollte sich ausschütten vor Lachen.
"Oh nein",grollte sie jetzt, ich habe keine Angst. Aber meine Arbeit ist so anstrengend und von den vielen Blitzen bekomme ich sehr oft eine Migräne. Da brauche ich diese Dunkelheit um mich auszuschlafen und wieder zu Kräften zu kommen".
Sie grollte noch leise und begann, sich in ihre Höhle zurück zu ziehen.
"Komm, lass uns nur gehen", sagte der Wichtel, "es wird auch sicher Zeit für dich, wieder nach Hause zu gehen, oder ?"
"Ja, ich glaube auch", sagte ich, "Schäfchenwolken, die auf der Wiese herum tollen, Regenwolken die auf einem Baum sitzen und weinen, und Gewitterwolken, die Migräne haben, das wird mir daheim kein Mensch glauben".
Ich musste lachen, "ich danke dir du kleiner lieber Wichtel, dass du mir das alles gezeigt hast. Jetzt weiß ich auch, wohin die Wolken immer ziehen. Sie ziehen nach Hause, nach Wolkenkuckuckshausen".
Wir machten uns auf den Rückweg zum Regenbogen. Zuerst mussten wir hinter die Reihe von großen Bäumen, damit wir die große Wiese mit dem See wieder sehen konnten.
Dort stand er noch der große bunte schillernde Regenbogen, auch die Treppe konnte ich noch sehen.
Je näher wir ihr kamen, umso müder wurde ich auf einmal, meine Augen wurden so schwer, so schwer, dass ich sie nicht mehr aufhalten konnte.
Und als es mir endlich gelang, sie wieder aufzumachen, da saß ich schon wieder auf dem großen Stein am Rande der Lichtung.
Was war denn das, habe ich das alles etwa nur geträumt? Ich rieb mir die Augen und schaute ganz enttäuscht zum Himmel hoch.
Dort zog gerade eine dicke dunkle Regenwolke vorüber und sie begann zu regnen, einen Tropfen nach dem anderen.
Enttäuscht wollte ich nach Hause gehen, als ich bemerkte, dass die große Wolke auf einmal ein Gesicht bekam, sie lächelte mir zu. Ihr linkes Auge knipste sie schelmisch zu.
Ich lächelte und rief ihr zu:
"Komm gut heim, und bestelle liebe Grüße nach Wolkenkuckuckshausen".